Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
Vom Netzwerk:
Masochist sind, der sich seine Strafe abholen will, und die Sache ist erledigt.«
    Â»Masochist, ja. Aber ich bin nicht auf Strafe aus. Eher auf Spannung.«
    Â»Welche Spannung? Die, wenn man am Seil baumelt, mit einer Schlinge um den Hals? Oder die, wenn man nicht weiß, ob einer vorbeikommt, um einen abzuschneiden?«
    Â»In der Literatur wird nicht immer zwischen den beiden unterschieden«, erklärte ich. »Aber wie bei aller Kunst sind das Grübeln und die Tagträumerei von entscheidender Bedeutung.«
    Â»Kunst? Ich habe Sie wohl nicht richtig verstanden. Ich dachte, Sie sind ein Perverser, kein Maler.«
    Ich zuckte die Achseln. »Haben Sie schon mal von einer Perversion gehört, die ohne Hang zur Kunst auskommt? Nur Sadismus ist antiästhetisch.«
    Belustigt schlug er mit der flachen Hand auf den Metalltisch, sodass sein Kaffee auf meine Schuhe spritzte. »Antiästhetisch? Reden Sie mit jedem Fremden in Straßencafés so? Sie sind nicht nur aufgeblasen, Hombre, Sie reden auch Unsinn. Was glauben Sie, was Kunst ist – hübsche Bildchen? Lassen Sie sich gesagt sein – jeder Künstler ist ein Sadist. Er erschafft Leben, um es zu zerstören, wenn ihm danach ist. So wie mir im Moment danach ist, Ihres zu zerstören.«
    Â»Aha!«, sagte ich und wagte es, mit dem Finger auf ihn zu zeigen. »Ihre heftige Reaktion zeigt nur, dass ich recht habe. Sie sind selber ein Mensch mit dem Temperament eines Künstlers – so etwas erkenne ich –, doch bei Ihrer auffälligen Ungeduld darf man bezweifeln, dass sie lange genug stillhalten können, um Kunst hervorzubringen. Zerstörung ist keine Kunst, Zerstörung ist das Gegenteil von Kunst. Was Sie Kunst nennen, nenne ich Blutvergießen.«
    Â»Und warum erschreckt Sie das so? ›Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt.‹ Das hat Nietzsche gesagt.«
    Â»Und hat Nietzsche auch gesagt, mit wessen Blut? Der Künstler, über den Sie sprechen, schreibt mit dem Blut anderer Menschen. Der richtige Künstler schreibt mit seinem eigenen Blut. Hat ein Schläger jemals eine gute Geschichte zu erzählen gehabt? Hat ein Schläger jemals lange genug stillgehalten, um die Welt um sich herum wahrzunehmen? Die Geschichten, die wir lieben, sind immer von Geschlagenen oder vom Standpunkt eines Geschlagenen aus geschrieben – von uns, die wir warten und staunen, immer gespannt, die wir beobachten, Fragen stellen, die wir unendlich viel Zeit haben und immer und immer wieder die Geschichte unserer Schande erzählen.«
    Â»Und wo ist Ihre Kunst, Mister Perverskünstler, um das zu beweisen?«
    Â»Hier«, sagte ich und breitete die Arme aus, als wollte ich den Tag, den Himmel, die Zeit, die Straße, den Tisch, uns beide umarmen. »Hier, in der Großmütigkeit meiner Gefühle für Sie, in der Spannung unserer Erzählung, in der Unkenntnis, wo unsere Geschichte endet.«
    Â»Uns beide verbindet keine Geschichte.«
    Â»Oh, da wäre ich mir nicht so sicher.«
    Â»Was Sie da beschreiben, ist keine Kunst, sondern Fantasie.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Und Ihre Kunst?«, fragte ich. »Die Kunst, zu der Ihr Temperament neigt? Wo ist sie?«
    Zum ersten Mal trafen sich unsere Blicke. Das also sahen Frauen in ihm! Eine zornige, kalte Traurigkeit, wie die eines Eisbären. Ein Gebrechen, das die Frauen, wenn sie furchtlos waren, wenn sie sich nahe genug herantrauten, vielleicht sogar lindern konnten.
    Was er in meinen Augen sah, gefiel ihm offensichtlich auch nicht, obwohl sie sich für mich, von innen her, sanftmütig anfühlten wie die eines Labradorhundes.
    Â»Meine Kunst«, fing er schließlich an, »besteht darin, Sie nicht länger in Spannung zu halten! Verschwinden Sie! Stehen Sie auf, verlassen Sie meinen Tisch und gehen Sie einfach weiter. Ich zahle Ihr Getränk, und Sie belästigen mich nicht weiter. Wie wäre es damit als Ende unserer Geschichte?«
    Ich stand auf. »Gehen Sie endlich in das Scheißmuseum!« , hätte ich am liebsten geantwortet. »Sie brauchen nur die kleine Treppe hochzusteigen, und Sie werden sehen, was Sie dort erwartet. Sie werden Ihr Glück kaum fassen.« Aber das konnte ich nicht sagen.
    Â»Verschwinden Sie!«, wiederholte er.
    Und diesmal erwies ich ihm die Ehre zu glauben, dass er es auch so meinte.
    *
    Das Schicksal ist mit den Mutigen. Am

Weitere Kostenlose Bücher