Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
Vom Netzwerk:
nächsten Tag konnte man Marius den Manchester Square überqueren sehen, vermutlich – denn ich saß in einem Taxi und konnte nicht anhalten, um mich zu vergewissern – auf dem Weg zu dem Scheißmuseum.
    Ich kann nicht beweisen, dass es unser Gespräch war, welches ihn umgestimmt hatte. Logisch betrachtet, hätte er genauso gut seine Koffer packen und die Gegend für immer verlassen können. Wer wollte mir schon zufällig auf der High Street über den Weg laufen? Doch selbst wenn es ihn in dieser Hinsicht nicht beeinflusst hätte, sprach nichts dagegen, dass es ihn in anderer Hinsicht beeinflusst hatte. Vielleicht war er auch einfach nur mit dem falschen Bein aufgestanden. Oder er hatte aus seinem kleinen Fenster über dem Knopfgeschäft geguckt und Marisa gesehen, beim Einkaufen in einer der Boutiquen gegenüber oder nackt unter ihrem Mantel auf dem Weg zur Vorlesestunde bei dem blinden Mann. Allein ihr Anblick hätte ihn an sein fast schon vergessenes Vorhaben gemahnt, so wie der Geist des Vaters den Hamlet.
    Doch möchte ich gerne glauben, dass ich ihn veranlasst habe, an den Schreibtisch zurückzukehren. »Und Ihre Kunst, Marius? Wo ist Ihre Kunst?« Und ihn natürlich auch an die Existenz einer schönen Frau erinnert habe.
    Wo war seine Kunst? Zweifellos hatte er gedacht, er wollte eine Antwort auf die Frage finden – und wenn nur für sich allein –, auf seine Art, auf die einzige Weise, die einem Künstler zur Verfügung stand. Indem er ein Kunstwerk schuf. Aber dann hatte er nichts hervorgebracht. Jedenfalls war das meine Vermutung. Für einige Männer heißt es, Kunst oder Frauen, und Marius war auf jeden Fall ein Mann dieses Typs. Tod, Frauen, Kunst. Kunst, Frauen, Tod. Kunst, Tod, Frauen. Ganz egal, wie er jonglierte, immer kompensierte eins das andere. Das Thema Tod hatte er abgehakt. Blieben die anderen beiden. Und wer wollte schon gerne Sätze bauen, wenn die Sätze ihm nicht aus der Feder flossen und draußen in der Welt eine reich gesegnete Frau wartete – schnell, provozierend, spitz, unsentimental und mit einem anderen Mann verheiratet –, die er sich nur zu nehmen brauchte?
    Der Tag, an dem Marius verspätet Marisas Herausforderung annahm, war auch für mich der Beginn eines neuen Abenteuers. Ich saß hinten in einem Taxi und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, so laut war das geile Geplapper in meinem Kopf. »Wie die wilden Tiere!« Ich musste laut gesprochen haben.
    Â»Ich dachte, Sie wollten nach Paddington«, sagte der Fahrer.
    Ich sagte, ich hätte es mir anders überlegt. Eigentlich hatte ich vor, einen pensionierten Schuldirektor in Gloucester zu besuchen und seine Bibliothek zu begutachten. Aber jetzt konnte ich mich unmöglich auf alte Bücher konzentrieren. »Zurück nach Marylebone«, sagte ich. Ich wollte in der Nähe sein.
    Er las ihren Zettel, oder würde ihn bald lesen. Ich las ihn auch noch mal, zusammen mit ihm. Was für eine Einladung. Mehr, als er erhofft hatte, allerdings. Auch mehr, als ich erhofft hatte. Marisa schmiegte sich an die Brust des Dichters, splitterfasernackt. Und der Wasserträger grinste.
    Du lieber Gott!
    Er war in sie eingedrungen, so gut wie.
    *
    Er führte sie in ihr Lieblingsrestaurant (bis dahin unser Lieblingsrestaurant), und dort saßen sie zu zweit, wie miteinander verschmolzen. Sie merkten nicht, was sie aßen. Anschließend schlenderten sie nach draußen, durch den Abend, in der Luft tiefes Donnergrollen, zuerst Arm in Arm, dann Hand in Hand und schließlich, nur eine Straße von dem Haus entfernt, in dem wir wohnten – Marisa und ich –, küssten sie sich auf den Mund – Marisa und er –, hielten inne, um die Freude aneinander voll und ganz auszukosten, unter einer Straßenlampe, die sie anstrahlte, und es war, als glühten ihre Herzen.
    Er war ansehnlicher als sonst, nahezu wohlgelaunt, in einem tweedähnlichen Anzug, in dem er aussah wie ein Rechtsanwalt vom Land. Der Typ Mann, der in den Herzen von Farmerfrauen und -töchtern romantische Gefühle entfachte, und natürlich bei Gattinnen von Professoren an unbedeutenden Universitäten. Auch bei Großstadtfrauen kommt sie gut an, diese Anmutung windzerzauster provinzieller Unbarmherzigkeit. Als gäbe es im Landleben grausame Gewissheiten, zu denen weichere Männer, die in internationalen Banken oder städtischen Antiquariaten

Weitere Kostenlose Bücher