Liebesdienst
»mehr, als er erhofft hat«, hinter die römische Orgie zu stecken. Es wäre allzu unverfroren gewesen. Der zweifellos gelungenere Witz und auf ihre Art die laszivere Einladung zu verbotenem Tun war es, Marius ins Gedächtnis zu rufen, dass sie mal eine Klosterschülerin in Schuluniform gewesen war. Doch wusste ich etwas, das Marisa nicht wusste. Sie wusste nicht, dass Marius eine Neigung, wenn auch auf Begräbnisse beschränkte Neigung zu Minderjährigen hatte. Wer sagte, dass ihn die, wenn auch unbeabsichtigte, Anspielung nicht zu einem Rückzug bewogen hätte? Mit beidem war ein Risiko verbunden. Wenn Marius eingeladen wurde, sich an einer unbekleideten Lydia gütlich zu tun, konnte er womöglich auch prüde reagieren. Wie alle Sadisten fürchtete er sich vor Frauen, die die Initiative ergreifen. Von den beiden Bildern jedenfalls waren die Quäker-Mädchen das bedenklichere. Doch vielleicht war das nur eine Rationalisierung meiner eigenen Vorliebe. Ich konnte mich nicht von der Vorstellung lösen, dass Marisa ihm ihre â splitterfasernackte â Gesellschaft an seinem Tisch versprach.
Was immer dahinterstand, das, was ich tat, war eigentlich nichts Schlimmes. War es etwa ein Verbrechen, den Zettel mit dem ohnehin unverschämten Lockangebot von einer Stelle an eine andere zu verlegen, nur eine Armeslänge entfernt, damit Marisa Marius mit der Aussicht, nicht auf Bibelunterricht, sondern ein Gelage heià machte? Ein Gelage obendrein â schlieÃlich hatte ich nicht die Absicht, Marius etwas vorzuenthalten â, das die Aussicht auf den Bibelunterricht nicht aufhob, nur aufschob.
Wie enttäuschend war es, wieder an die frische Luft der Wirklichkeit zu treten und zu entdecken, dass sich in Wahrheit nichts verändert hatte. In dem Museum hatte ich das Gift ihres Ehebruchs eingeatmet, hatte es in mich aufgenommen und überlebt, doch drauÃen auf der StraÃe waren Marius und Marisa noch weit voneinander entfernt, Orgiasten erst in einer Zukunft, die ich soeben manipuliert hatte.
Wenn es für ihn nicht gut gewesen war, die Sache eine ganze Woche schleifen zu lassen, dann galt das Gleiche umgekehrt für sie. Marisa hatte Spaà am Spiel und verlor ihn wieder. Ein Mann war heià und dann nicht mehr so. Die beiden groÃen Lektionen ihrer Kindheit. Was nicht heiÃen soll, es hätte sie nicht gewurmt, dass er nicht gleich anrief, als er ihre Nummer kannte. Zunächst wird sie die Vorstellung amüsiert haben, dass sich die Suche für ihn als schwierig erwies und er gleichsam auf allen vieren durch die Museumsräume kroch, ihrer Raffiniertheit hoffnungslos unterlegen, er, der geglaubt hatte, er wüsste, wie sie tickt. Doch als eine weitere Woche verging und dann noch eine, musste sie sich eingestehen, dass er ihre Telefonnummer möglicherweise nicht hatte, weil er sich gar nicht erst die Mühe gemacht hatte, nach ihrer versteckten Botschaft zu suchen.
Sie tat mir leid. Wie gesagt, ich bin ein Connaisseur der subtilen Kränkung. »Mir hat es jedenfalls Spaà gemacht, sie zu suchen«, hätte ich sie gerne getröstet. Aber auch ich war ein Gefangener unserer List.
Das Warten bekam ihr nicht. Sie mochte genauso wenig Opfer eines Spiels sein wie Marius. Ich blühe auf, wenn man mir die kalte Schulter zeigt, sie wurde blass. Ich glühe, sie wirkte kränklich. Sie ging aus, vergaÃ, was sie sich vorgenommen hatte, kehrte zurück und ging sofort wieder aus dem Haus. Sie lieà sich die Nägel lackieren, plötzlich gefiel ihr die Farbe nicht mehr, und noch am selben Nachmittag lieà sie sich die Nägel erneut lackieren. Sie kaufte sich Schuhe, die sie nicht brauchte, sie schrieb Briefe an Freunde, mit denen sie seit Jahren nicht mehr verkehrte.
Ernsthafte Sorgen machte ich mir um sie, als ein Mitarbeiter beiläufig erwähnte, er habe sie eine Kirche betreten sehen. Es stellte sich heraus, dass sie nur ein Orgelkonzert besucht hatte. Ich sage, nur, aber die Tatsache, dass sie dort war, bot trotzdem Anlass zur Sorge. Marisa hasste Orgelmusik.
SchlieÃlich gewann ihre natürliche Ungeduld gegenüber Schwärmereien die Oberhand, und sie ging wieder tanzen, durchmaà die StraÃen wieder im Stechschritt und las noch einen Vormittag pro Woche zusätzlich dem alten Mann aus einem Buch vor.
Ich hatte ein Fantasiebild für Marisa und diesen blinden Mann. Ich glaubte, sie war nackt, wenn sie ihm
Weitere Kostenlose Bücher