Liebeserwachen in Virgin River
Konzernrichtlinien hinsichtlich Beziehungen am Arbeitsplatz festzulegen. Es ist kein Problem, wenn Leute aus der Firma sich miteinander verabreden oder heiraten, wenn sie nicht in derselben Abteilung beschäftigt sind. Nach diesen Vorschriften hätte einer von uns sich versetzen lassen müssen, und das hätte offensichtlich Kurt sein müssen, da er mir unterstellt ist. Allerdings sind seine Erfahrungen auf PR beschränkt, und meine Abteilung ist nun mal die einzige, in die er hineinpasst. Wir haben gut zusammengearbeitet! Jedenfalls habe ich das angenommen …“
Harry schüttelte den Kopf. „Du warst entscheidend daran beteiligt, diese Leitlinien zu bestimmen, Jillian. Und falls ich mich recht entsinne, war es ursprünglich sogar deine Idee.“
Sie rutschte auf ihrem Stuhl bis zur Kante vor. „Ja, doch das primäre Ziel war nicht der Gefahr von sexueller Belästigung vorzubeugen! Sexuelle Belästigung geschieht niemals in beiderseitigem Einverständnis und ist auch nicht mit einem Date zu verwechseln. Sexuelle Belästigung ist immer eine Art von Erpressung. Wir – also das Team der Personalabteilung und ich – wollten Beschwerden der Angestellten wegen Begünstigung bei Beförderungen in den Abteilungen vorbauen. Deshalb war es keine gute Idee, Beziehungen innerhalb einer Abteilung zu dulden. Abgesehen davon, haben wir auch Richtlinien formuliert, die besagen, dass Angestellte nicht zu spät kommen sollen, keine unangemessene Kleidung tragen und nicht auf dem Parkplatz des Hauptgeschäftsführers parken dürfen!“
Damit konnte sie Harry ein Lächeln entlocken, aber das hielt nicht lange an.
„Ich dachte, mit der Zeit und bei entsprechender Förderung könnte Kurt irgendwann mal ein guter Nachfolger für mich sein. Und bevor du fragst, darauf bin ich nicht gekommen, weil ich ihn mag, sondern weil es niemanden gibt, der qualifizierter wäre. Ich weiß doch, wie ungern du außerhalb des Konzerns Leute suchst, um bestimmte Positionen zu besetzen, wenn intern eine Chance für unsere Angestellten besteht.“ Schlagartig wurde ihr der Ernst der Lage bewusst. Jillian schwieg, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und starrte mit leerem Blick vor sich hin.
„Na, so ein Zufall!“ Harry schob ihr eine Mappe hin. „Auch Kurt sieht sich als dein Nachfolger. Schau dir das an.“
Als Jillian den Ordner aufschlug und die Sammlung von Memos, E-Mails, ausgedruckten SMS und allerlei Notizen vor Augen hatte, zitterten ihr wirklich leicht die Hände. Die erste E-Mail, die sie las, kam von ihr und lautete: Wie es mir geht? Ich könnte eine Schultermassage gebrauchen! „Harry, das hat nichts mit einer Beziehung zu tun! Nach einer extrem strapaziösen Sitzung hatte er mir gemailt und sich erkundigt, wie ich mich fühle! Richtig …“ Sie prüfte das Datum und schüttelte den Kopf. „Zu der Zeit hatte ich noch keinerlei privaten Kontakt mit ihm!“ Sie würde sich durch Monate alter E-Mails graben müssen. Monate gelöschter E-Mails. Monate belangloser, alltäglicher Nachrichten.
Auf einer Seite mit dem SMS-Austausch zwischen ihnen hatte Kurt eine Nachricht von ihrem Handy gelb markiert: Ich vermisse dich! „Aber das hat doch absolut nichts zu bedeuten“, verteidigte sie sich und drehte das Papier zu Harry um. „Ich müsste in meinem Kalender nachschauen, doch ich bin mir sicher, dass ich da nicht in der Stadt war. Und es stimmt. Ich hatte ihn vermisst!“ In derselben Sekunde ging ihr auf, was er getan hatte. Er hatte ihr eine Falle gestellt.
„Oh Gott“, murmelte sie. „Lockere Nachrichten zwischen zwei Menschen, die für dieselbe Firma arbeiten. Warum habe ich das nicht geahnt? Wie konnte ich mich so in ihm täuschen?“
Sie warf noch einen kurzen Blick auf ein paar weitere Blätter mit ähnlich kurzen liebevollen Bemerkungen, wie sie jede Frau dem Mann in ihrem Leben geschickt haben könnte, und es gab keine Möglichkeit zu beweisen, ob sie während der Bürozeit oder zu einem anderen Zeitpunkt verfasst worden waren. Aus ihrer Sicht waren es harmlose romantische Gesten, die alles andere als bedrohlich wirkten. Allerdings war nichts dabei, das von Kurt stammte.
Er war der Verführer; doch höchstwahrscheinlich hatte er ihr immer nur verbal geantwortet … und damit keine Spuren hinterlassen.
„Harry, er hat mit mir geflirtet und mir verführerische Dinge erzählt, aber anders als ich hat er nichts davon schriftlich getan, sodass es nichts zum Ausdrucken gibt! Ich hatte nie Angst, ihm eine E-Mail oder solche
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