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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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verantworten?«
    Die Leute drehen durch mit ihrem Sicherheitswahn.
Nach ihrer Logik müssten Hebammen alle gebärenden Frauen im Krankenhaus eine Einverständniserklärung unterschreiben lassen: Wenn es zu keinem Kind komme, übernähme sie keine Verantwortung. Und die Mutter sollte ebenfalls eine Einverständniserklärung für das zukünftige Baby verfassen: Es solle sie aus der Haftung entlassen, wenn es mit seiner Geburt unter Umständen nicht einverstanden sei. Außerdem sollte jedes Kind ebenfalls sofort nach seiner Geburt eine Einverständniserklärung abgeben – »Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, wenn in meinem Leben irgendetwas schiefgeht, kann ich nichts dafür« – und die ganze Menschheit unterschreiben lassen. So wird das Zwischenmenschliche in Deutschland ein für alle Mal durch das ständige gegenseitige Einreichen von Einverständniserklärungen geregelt, und kein Erdbeben, kein Krieg und keine Finanzkrise wird uns etwas anhaben können.
    »Meine liebe Tochter«, sagte ich zu Nicole. »Ich kann dir leider dieses Papier aus vielen Gründen nicht unterschreiben. Mir macht diese Bescheinigung Angst. Nein, sie sollen diesmal ohne dich in den Abenteuerpark gehen.«
    »Ach, Papa«, lachte Nicole. »Das ist doch nicht so schlimm, wie es sich anhört. Du kennst die doch, die spinnen halt«, sagte sie.
    Und wenn meine Tochter lacht, unterschreibe ich alles.

Flugangstattackenabwehr
    Meine Frau und ich haben beide Flugangst. Dabei sitzen wir ziemlich oft in Flugzeugen. Die menschliche Zivilisation hat sich in eine solche für uns bedauernswerte Richtung entwickelt, dass man kaum irgendwohin kommt, ohne zu fliegen. Flugangst ist weniger eine Krankheit als ein Gefühl. Das Gefühl der Ohnmacht. Man fliegt nicht von allein, sondern sitzt in einer durch die Luft rasenden Maschine, die aus schwerem Metall gebaut ist. Man weiß nicht, was diese Maschine überhaupt in der Luft hält – vermutlich nur das Kerosin –, und wenn der Motor stehen bleibt, fällt sie herunter. Wir selbst haben weder Flügel noch Federung, von irgendeinem Fallschirm ganz zu schweigen. Als Passagiere sind wir Geiseln der Maschine und ihr völlig ausgeliefert. Kein Wunder, dass in Flugzeugen so viele durchdrehen. Jeden Tag kann man in den Nachrichten lesen, ein Fluggast habe in einem Flugzeug randaliert. Neulich wurde sogar ein ukrainischer Minister in Handschellen von Bord geleitet.
    Alle diese Vorkommnisse verlaufen nach dem gleichen Muster. Zuerst sitzt der Passagier ruhig auf seinem Platz, liest Zeitung oder schaut gedankenlos durch das Bullauge
auf die unter ihm liegenden Wolken. Plötzlich springt er auf und baut so einen Mist, dass gleich am nächsten Tag überall und in allen Einzelheiten davon zu lesen ist. Dieses Verhalten ist mit keinen Turbulenzen zu erklären. Hier ein Beispiel: Ein bekannter Geschäftsmann langweilt sich auf zehntausend Metern Höhe mit einem Sudoku-Heft. Er kommt bei einer superschweren Zahlenkombination nicht weiter und will dringend mit dem Piloten darüber reden. Als eine Stewardess sich ihm in den Weg stellt, beißt er die junge Frau in den Unterschenkel und verbarrikadiert sich auf der Toilette.
    Wenn Männer im Flugzeug randalieren, beißen sie fast immer die Stewardess ins Bein. Deswegen tragen die Stewardessen auf vielen Fluglinien Strümpfe aus einem speziellen Schutzstoff, den man nicht durchbeißen kann. Wenn Frauen rebellieren, schicken sie gleich alle zum Teufel. Eine berühmte russische Schlagersängerin, die auf der Bühne herzzerreißende Liebesschnulzen zum Besten gibt, hat neulich mit ihrer Rebellion beinahe ein Flugzeug umgekippt. Zuerst beschimpfte sie lautstark alle Passagiere und forderte sie auf, sofort aus der Maschine auszusteigen. Anschließend trank sie die flüssige Seife auf der Bordtoilette und tanzte wild im Gang, bevor sie zusammenbrach.
    All diese Vorfälle lassen sich leicht erklären. Russen wissen, gegen Flugangstattacken hilft nur Hochprozentiges. Cognac bekämpft sie zum Beispiel sehr gut, aber auch ein Wein tut es. Noch besser zwei. Doch wer will schon als Säufer abgestempelt werden? Es gilt als unangebracht, gar abstoßend, sich schon am frühen Morgen Hochprozentiges hinter die Binde zu kippen. Gerade bei den Russen,
die seit eh und je unter dem Klischee zu leiden haben, sie wären für die Reize des Alkohols besonders anfällig.
    Solche Klischees gehören abgeschafft, denken die Russen und wappnen sich für den Flug mit medizinischen Mitteln, die von

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