Liebesgruesse aus Deutschland
jedoch fliegen. Der Flughafen Mannheim ist mikroskopisch klein, doch je kleiner ein Flughafen, desto strenger die Kontrolleure. Sie nahmen mein Handgepäck sofort vollkommen auseinander, holten das Wappentier aus der Reisetasche und meinten ganz ernsthaft, die Leberwurst dürfe nicht mit.
»Sie fliegen doch oft, Herr Kaminer, und wissen bestimmt Bescheid, dass man keine Flüssigkeiten über hundert Milliliter mit an Bord nehmen darf, nicht einmal Parfüm«, klärte mich der Sicherheitschef auf.
»Aber erlauben Sie«, empörte ich mich laut, »die Leberwurst ist doch kein Parfüm und ganz gewiss keine Flüssigkeit ! Schauen Sie doch selbst, sie ist ganz fest!«
»Laut unseren Vorschriften ist Leberwurst aber Flüssigkeit«, winkte der Sicherheitschef ab.
Die Schlange hinter meinem Rücken erschrak.
»Das geht nun wirklich gar nicht!«, sagte ein molliger Geschäftsmann mit großem Koffer, der wahrscheinlich vollbeladen war mit Leberwurst.
Unzufriedenheit lag in der Luft, man konnte die revolutionäre Stimmung der Massen buchstäblich riechen. Man
habe in der letzten Zeit ja viele Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten hingenommen, meinten zwei ältere Damen unisono, man wolle den Terroristen schließlich Paroli bieten, aber bei bestimmten Sachen mache man einfach nicht mehr mit.
»Man gibt nicht einfach so sein Wappentier auf!«, mischte ich mich ein, blieb aber unverstanden.
»Was soll ich tun? Wir haben die Vorschriften nicht gemacht. Es wird alles oben entschieden.« Der Sicherheitschef zeigte mit dem Kopf Richtung Himmel, als würde er seine Befehle direkt vom lieben Gott erhalten. »Auch Schichtkäse ist Flüssigkeit!«, fuhr er fort. Die Schlange murmelte und murrte unzufrieden. »Schweineterrine zum Beispiel ist laut Vorschriften auch eine Flüssigkeit«, ließ der Sicherheitschef nicht locker. »Nutella! Katzenfutter! Marmelade …«
»Hören Sie auf!«, sagte ich. »Mir wird gleich schlecht.«
»Sollen wir Ihre Leberwurst für Sie vielleicht bis zum nächsten Mal aufbewahren?«, fragte mich seine Kollegin höflich. »Oder wollen Sie sich die Dose vielleicht selbst per Post nach Hause schicken?«
»Schmeißen Sie sie weg!«, zischte ich und packte meine restlichen Sachen wieder in die Tasche. »Wenn Leberwurst eine Flüssigkeit ist, dann will ich sie auch nicht haben«, sagte ich und ging an Bord.
Deutscher Frühling
Der Frühling beginnt in Deutschland unauffällig. Die Luft wird etwas wärmer, die Bäume etwas grüner, das Radio klärt die Allergiker über mögliche bevorstehende Gefahren auf, die Menschen sitzen vor den Kneipen, tragen aber trotzdem weiterhin Winterkleidung für alle Fälle, und ehe sie sich von ihren Mänteln befreien, ist der Frühling auch schon wieder vorbei.
Früher in Moskau haben meine Nachbarn zu Beginn des Frühlings immer einen Subbotnik auf dem Hof angekündigt, einen sogenannten freiwilligen Arbeitseinsatz. Ein paar Bewohner unseres Hauses versammelten sich dann mit Harken und Besen draußen auf dem Hof und tratschten stundenlang. Nicht alle Nachbarn verfügten über ausreichend Enthusiasmus, um sich an diesem freiwilligen Arbeitseinsatz zu beteiligen. Jahr für Jahr waren es immer die Gleichen, die sich versammelten, Leute, die sonst nichts zu tun hatten – eine mollige Frau mit großem Hut, eine junge alleinerziehende Mutter, ein komischer Mann mit dicker Brille, ein lebenslänglich Krankgeschriebener aus dem ersten Stock und ein kleiner Alter, der das ganze Jahr über eine halb volle Bierflasche vor dem Bauch hielt.
Ausgerechnet dieses Kollektiv der Freiwilligen trug den Wintermüll auf unserem Hof zu einem Müllberg zusammen. Anschließend zündeten sie ihn vor dem Haus zusammen mit dem Gras an, das den ganzen Winter unter dem Schnee begraben und nun in der Sonne ausgetrocknet war. Das Gras verbrannte sehr schnell und hinterließ große schwarze Brandflächen, die den unvergesslichen Geruch des Frühlings verbreiteten. Das war nicht nur bei uns auf dem Hof so, es brannte überall in Moskau, wenn der Frühling kam. Die halbe Stadt wurde zu einem Lagerfeuerplatz. Die Stadtbewohner versammelten sich um das Feuer, grillten Schwarzbrot, vergruben Kartoffeln unter der glühenden Kohle und freuten sich wie die Kinder über das brennende Gras, den Müll und die Qualmwolken, die den Himmel bedeckten. Sie hätten bestimmt gerne noch mehr abgefackelt – alles, was sie in dem langen Winter an Mehrwert geschaffen hatten und was ihnen sowieso nicht nützte. All das
Weitere Kostenlose Bücher