Liebesgruesse aus Deutschland
die sich angeblich seit 1836 mit der Herstellung dieser Flüssigkeit beschäftigt – dazu noch eine harte westfälische Mettwurst und eine weitere Wurst aus der Region, deren Name nicht auf der Packung stand. Außerdem bekam ich einen Gedichtband eines heimischen Dichters und eine Slam-Poetry-Anthologie aus der Gegend. Ich bedankte mich artig, packte die Geschenke ein und ging los, um mein Hexenhotel Palais zu suchen. Ich fragte den Veranstalter nach dem Weg. Die Stadt wirkte vertraut und übersichtlich, dennoch verlief ich mich bereits nach zehn Minuten. Lemgo war finster und menschenleer. Die Straßen waren schlecht beleuchtet, und um zweiundzwanzig Uhr war nicht ein einziger Fußgänger zu sehen, den ich um Hilfe bitten konnte. Alle Fenster waren dunkel, alle Gardinen zugezogen. Nicht einmal ein Betrunkener lief mir über den Weg. Nur ein paar Autos fuhren ab und zu mit Autobahngeschwindigkeit an mir vorbei. Die Fahrer wussten, dass die Wahrscheinlichkeit, in Lemgo um diese Zeit jemanden zu überfahren, gleich null war.
Na klar, dachte ich, auf dem Bürgersteig frierend. Überall auf der Welt gehen die Männer aus, um sich in Ruhe einen hinter die Binde zu kippen, ohne Frauenkontrolle. Und die Frauen gehen aus, um auf die Männer aufzupassen und ihnen eine sichere Heimkehr zu gewährleisten. Die Lemgoer haben das mit ihren Frauen noch im 15./16. Jahrhundert geklärt. Sie müssen nicht mehr aus
dem Haus. Sie saufen zu Hause, und wenn das Bier alle ist, dann schnitzen sie.
Tief in der Nacht begegnete ich doch noch einem sympathischen alten Trinker. »Holzhotel Palais ?« Er torkelte hin und her und wippte mit der Zigarette. »Gehste geradeaus, immer geradeaus, an den Häusern entlang, nach zehn Minuten siehst du’s dann auf der rechten Seite, kannste nicht verfehlen, ist ja alles eine Straße.«
Die Einverständniserklärung
Es gibt in der deutschen Sprache einige Wörter, die keine Entsprechung im Russischen finden. Zum Beispiel die Einverständniserklärung. So etwas gibt es im Russischen nicht, weil die Russen nie danach fragen, ob einer einverstanden ist. In Deutschland dagegen muss man für alles eine Einverständniserklärung haben.
Meine Tochter wurde zum Geburtstag ihrer besten Freundin Mari eingeladen. Mari wohnt in einem Häuschen, umgeben von Wäldern, Feldern und frischer Luft, weit weg von uns in einem Berliner Vorort, dort, wo man direkt aus dem Küchenfenster die echte Natur sehen kann. Es ist eine sehr nette Familie, doch Mari hat es nicht leicht. Ihre Mutter ist Lehrerin, ihr Vater Polizist. Ihr Leben ist ein ständiges Lernen und Frische-Luft-Atmen. Zum Geburtstag der Tochter beschlossen die Eltern, nicht zu Hause zu feiern, sondern mit den eingeladenen Kindern in einen Abenteuerpark zu gehen, damit die Kinder, statt zu Hause vor dem Computer herumzusitzen, etwas fürs Leben lernen und frische Luft atmen konnten.
Was kann für zwölfjährige Mädchen spannender sein, als auf einem Abenteuerparkplatz zu hocken? Das einzige
Problem dabei war: Jedes Abenteuer in Deutschland braucht eine Einverständniserklärung der Abenteuerberechtigten oder derer, die für sie verantwortlich sind. Sicherheit wird hier großgeschrieben. Also bekam meine Tochter zwei Zettel von Mari ausgehändigt: eine hübsche handgeschriebene und lustig bemalte Einladung zu ihrem Geburtstag und eine maschinengetippte Einverständniserklärung für den Ausflug der Minderjährigen zum Abenteuerpark, die ich als Erziehungsberechtigter auszufüllen und zu unterschreiben hatte. Darin sollte ich versichern, dass ich meiner Tochter bei klarem Verstand und nicht unter Einfluss von Drogen und Alkohol tatsächlich die Erlaubnis gäbe, den Abenteuerpark zu besuchen, und das, obwohl ich die allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen und akzeptiert habe. Mir sei wohl bewusst, dass ein solcher Besuch mögliche Verletzungen, Unfälle und Sachbeschädigungen nach sich ziehen könne, aber es mache mir trotzdem nichts aus, meine Tochter diesem Risiko auszusetzen. Weiter stand da: Sollten im Abenteuerpark beim direkten Aufprall mit Abenteuern irgendwelche Minderjährige zu Schaden kommen, so habe ich das zu akzeptieren, da der Abenteuerpark dafür keine Haftung übernehme.
»Was sind denn das für Geschäftsbedingungen für den Besuch eines Geburtstages?«, regte ich mich auf. »Und was ist das für ein Abenteuer, das sich dermaßen gefährlich anhört? Was machen die Kinder in diesem Park? Springen sie vom Dach? Wer kann das
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