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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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die sie nicht lieben, vor der sie Angst haben. Sie sehen und hören so wenig von der Welt wie Blinde in einer Kunstausstellung und Taube auf einem Rockkonzert.
    Viele Dichter und Denker haben versucht, Demut als Werkzeug zum Verändern der Welt zu benutzen. In Russland predigte Leo Tolstoi die Gewaltlosigkeit. Er meinte, der Kampf gegen das Böse könne nur mit Liebe gewonnen werden. Seine Bücher haben später viele Menschen in anderen Ländern gelesen und als Anweisung verstanden, unter
anderem Mahatma Gandhi, den die Werke von Tolstoi zu der Idee des gewaltlosen Widerstands gegen die englische Kolonialmacht verleiteten. Hier schlug die Demut in ihr Gegenteil um. Denn was, wenn nicht Hochmut, ist jeder Versuch, die Welt nach den eigenen Vorstellungen zu ändern, sich quasi neben den Schöpfer zu stellen und zu sagen: Ich kann es besser? Wie wird jemand eingeschätzt, der in einem Theater mitten in einer Vorstellung plötzlich auf die Bühne springt und anfängt, wie ein Regisseur Anweisungen an die Schauspieler zu geben und ihnen ihre Rollen zu erklären? Als Spinner.
    Gottgleich zu sein, sich maßlos zu überschätzen, sich für einen Versteher zu halten – diese Art von Eitelkeit hat nichts mit Demut zu tun. Sogar die zwei traurigen Debilen aus der Fernsehwerbung – mein Haus, mein Auto, mein Garten – zeigen mehr Demut, als Graf Tolstoi es jemals tat. Was wollen die Menschen überhaupt, was suchen sie? Es geht immer um diesen unsäglichen Traum, ein erfülltes Leben zu führen, »sich zu entwickeln«, »glücklich zu sein«. Die Tatsache, dass in einer Welt, die voller Schmerz, Trauer, Hunger und Not ist, nur Perverse, Betrüger und Dummköpfe glücklich werden können, diese Tatsache wird außer Acht gelassen.
    Okay. Aber was ist denn nun wahre Demut?, könnte sich der Leser ermüdet an dieser Stelle fragen. Gibt es sie überhaupt? Natürlich gibt es sie. Der Grund zur Demut liegt in der Vergänglichkeit des Lebens. Sich mit der Vergänglichkeit abzufinden, mit der Tatsache, dass alles auf dieser Welt, jedes Staubkorn und jeder Stein, sogar das
Boot, das Haus und das Auto uns überleben und nicht einmal einrosten werden, während alle Werbeträger schon längst tot sind, dass sogar unsere Fernsehgeräte uns überleben, das zu akzeptieren ist Demut. Diese Demut zu zeigen heißt, mit seiner Zeit und seinem Ort klarzukommen, einen Kompromiss zu schließen zwischen sich und der Welt, lange und ausgiebig mit dem schweigenden Himmel über Sinn und Unsinn der Welt zu diskutieren, um am Ende sagen zu können: »Schon schön, aber vielleicht haben sie ja auch recht.«
    Und Demut bedeutet auch, ständig anzugeben, mit allem, was man hat. Am besten können das Kinder. Sie erzählen auch die besten Witze über den Tod. Neulich erzählte mir mein Sonn solch einen Super-Grundschulwitz: »Eine Fliege fliegt durch das Netz einer Spinne. ›Na warte‹, ruft die Spinne ihr hinterher, ›morgen kriege ich dich!‹ ›Ha-ha! Ich bin eine Eintagsfliege!‹, summt die Fliege höhnisch und verlässt mit lautem Lachen den Luftraum. «

Deutsch Limpopo
    Seit meiner Kindheit faszinieren mich Orte mit exotischen Namen. Deswegen freute ich mich, als eine Einladung zu einer Lesung nach Lemgo kam. Lemgo hörte sich exotisch an wie alle Orte mit einem »o« am Ende, wie Kongo, Toronto, Acapulco oder Limpopo. Das »o« im Namen einer geografischen Einheit steht normalerweise für Romantik und Abenteuer, so wie das »a« am Ende des Namens ein Hinweis für Ödland ist. Lemgo hörte sich richtig gut an. Ich stellte mir ein altes Städtchen am Rande eines großen Flusses vor, in dem möglicherweise noch das Matriarchat herrschte – große kräftig gebaute Frauen jagten kleine grüne Süßwasserkrokodile im Lemgoischen Busen. Abschließend stellten sie ihre Speere zu einem Grill zusammen, drehten die Reptilien über dem Feuer, aßen, tranken und tanzten.
    Ich war mir ziemlich sicher, dass Lemgo irgendwo in Afrika lag, schrieb jedoch, um sicherzugehen, kurz an den Veranstalter zurück: »Sehr gerne komme ich zu Ihnen, nur wo ist Lemgo? Soll ich einen Regenschirm oder eine Sonnenbrille einpacken?«
    »Grob gesagt, liegt unsere Stadt zwischen Bielefeld und
Hannover, in der ostwestfälischen Provinz«, klärte man mich auf. Und dass die Veranstalter sich freuen würden, mich einmal in ihrem »Kesselhaus« begrüßen zu können. »Leider ist unsere kleine Stadt kulturell gesehen ein ziemliches Ödland, aber wir – meine Frau und ich – haben

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