Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
»Und?«
Er legte das Foto auf den Tisch und schob es zu ihr hinüber, neben das Glas mit dem Weißweinrest, in dem eine tote Fliege schwamm, und die angebrochene Packung Erdnußflips. Sie starrte auf das Bild und verknotete ihre Hände. Als sie es merkte, schob sie sie rasch unter die Achseln.
»Sie waren Nachbarskinder. Wobei Feller natürlich kein Kind mehr war. Während Ihres Studiums waren Sie seine Assistentin, und später haben Sie in derselben JVA gearbeitet, in der Lukas Feller jahrelang einsaß.«
»Das war Zufall.«
»Und jetzt sitzt er wieder dort, wo Sie arbeiten.«
»Nur zur Untersuchungshaft. Wenn er zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt wird, kommt er in die JVA Sehnde oder nach Celle.«
»Wenn Ihr Arbeitgeber von Ihrer Verbindung erfährt, dann wird wohl nichts aus der Beamtenstelle, schätze ich.«
Treeske Tiffin zuckte mit den mageren Schultern. Seehafer kam es vor, als würde sie unter dem Einfluß von Tranquilizern stehen. Vielleicht mußte er stärkere Geschütze auffahren, um sie aus ihrem Dämmerzustand zu reißen.
»Ich sehe schon die BILD-Schlagzeile vor mir: ›Knast-Psychologin war Freundin des Mörders‹.«
»Das kommt öfter vor, als man glaubt«, sagte sie und lächelte müde in den Sonnenuntergang hinein, der die Stadt rosa färbte. Dank der Pillen war ihr im Augenblick alles ziemlich egal.
»Ich möchte Ihnen ein Tauschgeschäft vorschlagen, Frau Tiffin. Sie sagen mir – oder Sie können es mir auch anonym mitteilen –, wo wir nach der Leiche von Johanna Gissel suchen müssen, und ich sorge dafür, daß Ihr Arbeitgeber und vor allen Dingen die Presse nichts von Ihrer Beziehung zu Lukas Feller erfahren.«
»Wie wollen Sie das machen?«
»Wenn wir die Leiche haben, brauchen wir Ihre Aussage nicht.« Seehafer konnte nicht ausschließen, ihr damit falsche Versprechungen zu machen, aber es war ihm gleichgültig. Manchmal heiligte der Zweck eben doch die Mittel.
Immerhin zeigte sie endlich eine Reaktion: Ihre grauen Pupillen sprangen unruhig hin und her wie Pingpongbälle. »Das glauben Sie doch selbst nicht«, sagte sie.
Seehafer seufzte. Sein Pulver war verschossen. Er wuchtete sich aus dem Sessel.
»Es gibt eine versteckte Hütte am Süntel. Aber ich weiß nicht mehr genau, wo sie ist.«
»Aber wir wissen es«, entgegnete Seehafer innerlich triumphierend.
»Er hat mal gesagt, Leichen verschwinden am schnellsten in der freien Natur. Sie werden nichts finden.«
»Wer weiß. Trotzdem danke, Frau Tiffin.«
Seehafer strebte zur Tür. Er mußte noch heute eine Suchaktion anleiern.
»Herr Seehafer?«
»Ja?«
»Wie geht es der Lehrerin, die Lukas geheiratet hat?«
»Gut. Sie hat die Scheidung eingereicht und eine Stelle im Ausland angenommen.«
»Ich mochte sie, irgendwie.«
»Ach«, bemerkte der Kommissar ungläubig.
»Sie hatte Stil. Aber Lukas ist sehr wütend auf sie. Er glaubt, er verdankt es allein ihr, daß er wieder im Gefängnis ist.«
»Er gibt nicht der Prostituierten die Schuld, die ihn identifiziert hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das war sein Fehler, dies ist ihm bewußt. Gutmütigkeit rächt sich immer. Sagt er.«
»Wann haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Vor drei Tagen.«
»Heiliger Strohsack«, entfuhr es Seehafer.
»Sagen Sie ihr, sie soll vorsichtig sein«, sagte Treeske.
»Wie meinen Sie das?«
»Er findet immer Wege, jemandem zu schaden, auch vom Gefängnis aus. Er kennt Leute auf der ganzen Welt. Er wird sie finden, egal wo sie ist.«
»Danke für den Rat«, sagte Lars Seehafer und verließ die Wohnung. Das gute Gefühl von eben war etwas Schalem gewichen.
Hannoversche Allgemeine Zeitung
Montag, 19. September 2005
Lehrerin aus Hannover wegen Drogenhandels in Singapur verhaftet
Eine erst seit kurzem an der Deutschen Schule in Singapur beschäftigte Lehrerin aus Hannover ist am Freitag von der örtlichen Polizei verhaftet worden. In der Wohnung der Dreiundvierzigjährigen fanden die Polizisten nach einem anonymen Hinweis 50 Gramm Kokain. Die Frau beteuert ihre Unschuld und behauptet, die Drogen seien ihr untergeschoben worden.
In Singapur wird Handel, Herstellung, Einfuhr oder Ausfuhr illegaler Drogen mit dem Tod durch Erhängen bestraft. Bei einem Besitz von mehr als 30 Gramm Kokain wird automatisch von Handel ausgegangen. Die sogenannte »Unschuldsvermutung« der deutschen Rechtssprechung kennt die Justiz dieses Stadtstaates nicht. Was bedeutet, daß die Frau beweisen müßte, daß sie nicht mit Drogen handelt.
Jährlich werden
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