Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
ein Vorstellungsgespräch zu führen, für die Reisekosten kommen wir auf. Sollten Sie jedoch bereits anhand der vorliegenden Daten und eines ausführlichen Telefongesprächs, um das ich Sie hiermit bitten möchte, eine positive Entscheidung treffen können, wären wir sehr erfreut. Sie erreichen mich von 8:00 bis 17:00 Uhr Ortszeit, ich rufe Sie auch gern zurück. Bitte beachten Sie die Zeitverschiebung von +8 Stunden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Martin Wörns
Mathilde überflog die Prospekte, dann eilte sie an den Computer und rief die Homepage der Schule auf. Alles was sie sah, gefiel ihr. Aber Singapur … Das war verdammt weit weg von Hannover.
Ihr Wissen über diesen Stadtstaat war dürftig. Vor längerer Zeit hatte sie einmal eine Reportage darüber im Fernsehen verfolgt. Im Gedächtnis geblieben waren ihr die hohen Grundstückspreise, die saftigen Strafen für das Ausspucken eines Kaugummis und die protzigen Wolkenkratzer nach amerikanischem Vorbild. Nicht zu vergleichen mit Hannover, der Hauptstadt des Understatement. Aber hatte sie denn eine Wahl? An der Schule gab es zudem nichts auszusetzen und vermutlich auch nicht an der Bezahlung.
Der gute Ingolf Keusemann, dachte Mathilde. Hat ihn also doch das Gewissen geplagt. Sie schaute auf die Uhr. Es war fünf vor neun. Neun plus acht … Sie mußte sofort anrufen!
Eine Sekretärin meldete sich auf englisch, und Mathilde verlangte ebenfalls auf englisch, Dr. Wörns zu sprechen.
Der sei bereits gegangen, ob sie etwas ausrichten könne?
»Es geht um die Lehrerstelle Mathematik und Physik für die Oberstufe. Herr Dr. Wörns hat mir ein Angebot geschickt.«
»Ah, Sie sind das!« – Was hatte das zu bedeuten? Kannte man ihre Geschichte schon am anderen Ende der Welt?
»Ist die Stelle noch frei?« fragte Mathilde und merkte, wie ihr Herz laut klopfte.
»Ja, sicher.«
»Dann richten Sie Herrn Dr. Wörns doch bitte aus, daß ich interessiert bin und morgen nochmals anrufen werde«, sagte Mathilde.
»Sehr gerne, Frau Degen.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja, bitte.«
»Wieviel Grad sind es bei Ihnen draußen?«
»Fünfundneunzig. Aber wir haben eine Klimaanlage, ich trage eine Jacke.«
»Danke«, sagte Mathilde und legte auf. Sie gab Celsius-Fahrenheit in das Feld der Internet-Suchmaschine ein und erhielt das Ergebnis: fünfunddreißig Grad.
Torsten Kreuder beugte sich über den Tisch und fixierte sein Gegenüber aus rot geränderten Augen.
»Es ist zwecklos, den Unwissenden zu spielen. Ein Polizeibeamter war zugegen, als Sie mit Ihrer Frau telefoniert haben, um sie auf den Ricklinger Friedhof zu schicken.«
Der Mann hat sich im Griff, dachte Kreuder anerkennend. Kein Zucken im Gesicht, kein Flackern in den Augen, nichts verriet auch nur den Hauch einer Gefühlsregung.
»Wo sie dann den ausgerissenen Fingernagel fand«, setzte Kreuder hinzu.
Schweigen.
Leider hatte das Labor das Ergebnis des DNA-Abgleichs zu dieser frühen Stunde noch nicht geschickt. Unter den zahlreichen Nagellackfläschchen in Leona Kittelmanns Badezimmerschrank hatte man keinen Lack gefunden, der zu dem auf dem bewußten Nagel paßte. Aber möglicherweise hatte sie den Lack bei sich in der Handtasche, für den Fall, daß Ausbesserungsarbeiten nötig waren. Weiß der Geier, wie Frauen solche Dinge handhabten, dachte Kreuder müde. Trotzdem – daß der Nagel von Leona Kittelmann stammte, war inzwischen ziemlich unwahrscheinlich. Dieser Umstand konnte zweierlei bedeuten: Entweder hatte Feller die Lehrerin, seinen Trieben gehorchend, umgebracht und hinterher kaltblütig versucht, Kapital daraus zu schlagen. Oder das ganze war ein übler Bluff, bei dem Leona Kittelmann mitspielte. Kreuder persönlich neigte eher zur zweiten Theorie, was aber in jedem Fall fehlten, waren Beweise.
Es klopfte an die Tür des Vernehmungszimmers. Kreuder stand auf. Der zweite Beamte, ein junger Anwärter, der an der schmalen Seite des Tisches saß, heftete seinen Blick auf Lukas Feller, als wolle er ihn damit an den Stuhl tackern.
Vor der Tür stand Oberkommissar Jürgen Hirsch. Eine Baseballkappe zierte sein kahles Haupt. Kreuder schloß die Tür von außen.
»Sagt er was?«
»Natürlich nicht. Was gibt’s?«
»Die Identität der Frau aus dem Wald ist geklärt. Sie heißt Olga Hitzlsperger, ist Jahrgang fünfundsiebzig, deutsche Staatsbürgerin russischer Abstammung.«
»Hitzlsperger?« Kreuder brach sich beinahe die Zunge. »Klingt echt russisch.«
»Sie war sechs Jahre mit einem
Weitere Kostenlose Bücher