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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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daß du nie mehr das Bett verlassen wirst, nur Strumpfbänder und Stiefel, das ist es, was du im Kopf hattest, und dann fiel mir ein, daß ich trotzdem etwas angehabt hatte, als ich gestern gekommen war, kaum zu glauben, daß das erst gestern gewesen war, mir kam es mindestens so lang vor wie ein Monat, ich hatte etwas angehabt, ich war nicht in Strumpfbändern und Stiefeln gekommen, ich begann unter den Bettdecken zu suchen, unter dem Bett, versuchte mich zu erinnern, wo ich mich ausgezogen hatte. Du mußt in deinem Kopf suchen, hatte meine Mutter immer gesagt, erst im Kopf, aber mein Kopf war so gelähmt wie meine Hände, gelähmt vor Angst, daß er gleich ins Zimmer stürzen und mich umbringen würde, und ich versuchte mich zu erinnern, was man in so einer Situation im Film tat, und mir fiel ein, daß ich schon einmal gesehen hatte, wie jemand die Tür mit einem Stuhl verbarrikadiert hatte, also nahm ich den Stuhl und zerrte ihn zur Tür, und da sah ich, daß meine zusammengelegten Kleider ganz ruhig auf ihm lagen, und als ich angezogen war, machte ich schnell den Koffer zu und ging, ohne mich an der Küche aufzuhalten, zur Tür hinaus.
    Die Nacht war angenehm und frühlingshaft, als hätten an dem einen Tag, den ich eingeschlossen verbracht hatte, die Jahreszeiten gewechselt, und ich schwitzte in meinen warmen Sachen und fühlte mich schwer und verlassen, und obwohl ich am Anfang gerannt war, begann ich doch bald, langsam zu gehen, so langsam, daß es fast ein Stehen war, denn ich merkte, daß mich niemand verfolgte, und ich hatte es ja nicht wirklich eilig, man konnte kaum sagen, daß mich irgend jemand irgendwo erwartete, und ich stellte den Koffer auf dem Gehweg ab und setzte mich darauf, wie eine überflüssige Touristin in dieser neuen nächtlichen Welt, in der schreckliche und unerwartete Dinge geschahen. Ich hatte das Gefühl zu versinken, und die ganze Zeit sagte ich mir, laß dich nicht fallen, geh nach Hause zurück, nimm dein Leben wieder auf, das Glas ist zerplatzt, na und, es gibt noch etwas, an dem du dich festhalten kannst, geh nach Hause, und morgen fährst du zur Universität und setzt dich in die Bibliothek, zwischen all die Bücher, und läßt diesen Mann ohne dich wahnsinnig werden.
    Ich sah mich in einem Zimmer voller Bücher, glücklich aufatmend, sah mich zwischen den Büchern herumflattern wie ein Schmetterling zwischen Blumen, mal hier nippend, mal da, und dann wurde mir schwindlig, denn mir fiel das einzigartige Buch aus der Privatbibliothek des Dekans ein, die Geschichten von der Zerstörung des Tempels, und ich machte den Koffer auf und begann fieberhaft zu suchen, aber es war nicht da, schließlich hatte ich es nicht eingepackt, ich hatte es auf dem breiten Bett zurückgelassen wie einen Verwundeten auf dem Schlachtfeld, und wer wußte, was sein Schicksal sein würde, ob es nicht das nächste Opfer seiner Wut würde, ob er es nicht in Fetzen zerreißen würde, so wie er das Bierglas in Scherben zerschlagen hatte, und alle Helden des Buches, die so viel Leid ertragen hatten, wie zum Beispiel der Hohepriester und seine Tochter und all die edlen Töchter Zions und der Zimmermann, dem die Frau geraubt wurde, sie alle würden eine weitere Zerstörung erleben, und ich wußte, daß ich sie aus seinen Händen retten mußte, und selbst wenn es eine Ausrede war, war es nicht nur eine Ausrede, und ich beschloß, ich würde einfach hineingehen und wortlos das Buch aus dem Schlafzimmer holen, sogar ohne ihn anzuschauen, aber als ich im dunklen Treppenhaus stand, spürte ich, daß meine Augen weh taten vor lauter Sehnsucht, ihn zu sehen, und als er die Tür aufmachte, tat mir der Körper weh vor lauter Liebe zu ihm, vor lauter Liebe und Mitleid und Kummer und Sehnsucht, aber ich sagte nichts, ich lief zum Schlafzimmer und zog das Buch zwischen den Decken hervor, umarmte es und wiegte es in meinen Armen.
    Er kam mir nach, langsam und düster, und blieb in der Schlafzimmertür stehen. Und als ich versuchte, an ihm vorbeizugehen, streckte er die Hand aus, so langsam, daß ich sah, wie sich die Bewegung auf mich zu entwickelte, und streichelte mein Gesicht, er zog mich zum Bett, und ich sah, daß seine Hand verbunden war, und ich sagte, ich liebe dich, ich weiß, daß das nicht in Ordnung ist, aber ich liebe dich, und er begann mich zärtlich auszuziehen, und er sagte, es ist in Ordnung, es ist in Ordnung, und er verkniff sich sogar seine übliche Frage, warum, und ich sagte, ich wollte dich nicht

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