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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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die Last seiner schlechten Laune mit meinem ganzen Körper, als wäre ich schuld an dem Mißgeschick, das hinter dem Fluch steckte, und ich wußte nicht, was ich tun sollte, wie ich seinen Zorn besänftigen konnte. Ich versuchte ruhig zu sein, mich nicht aufzuregen, aber in meinen Ohren hörte ich das Pfeifen der Angst, wie das Pfeifen einer Lokomotive, die immer näher kommt, während man weiß, daß die Schranke nicht funktioniert und ein Unfall nicht mehr zu vermeiden ist und nur noch die Frage bleibt, wie groß die Katastrophe sein wird.
    Komm ein bißchen raus, sagte er, du wirst ja noch ganz klaustrophobisch, und ich trat vorsichtig über die Schwelle wie über eine gefährliche Grenze und bewegte mich tastend vorwärts, schaute nach rechts und links, vielleicht war irgendein Gast in einem der Zimmer vergessen worden, und im Wohnzimmer eroberte ich mir einen Platz auf dem Sofa, starr vor Kälte in meinem dünnen Nachthemd, und er fragte nicht, er sagte, du hast Hunger, und ich antwortete, ja, übertrieben dankbar, und er nahm einige Sachen aus dem Kühlschrank, wärmte sie und rief mich in die Küche. Ich setzte mich gehorsam an den runden Tisch, vor den großen Teller mit Truthahnschnitzel, Kartoffeln und Gemüsesalat, ein Standardessen von der Art, wie meine Mutter es mir nach der Schule oft machte, und ich versuchte, wohlerzogen zu essen, damit er mein Kauen nicht hörte, denn plötzlich war ich zu einer unerwünschten Person geworden, jede seiner Bewegungen zeigte mir das, und wer unerwünscht ist, muß leise atmen, denn eigentlich hat er keine Existenzberechtigung.
    Er holte das Geschirr aus dem Wohnzimmer und leerte die Aschenbecher, und das alles erledigte er demonstrativ laut, wütend, und ich dachte, seltsam, nichts hängt von mir ab, und wie schwer war es, sich daran zu gewöhnen, denn im allgemeinen gab es doch eine gewisse Beziehung zwischen dem, was man tat, und dem, wie man behandelt wurde, aber in diesem Haus herrschten andere Gesetze, ich war erwünscht oder unerwünscht aus Gründen, die nicht von mir abhingen, ich war so etwas wie ein blasser Mond, der kein eigenes Licht hat und von der Gnade der Sonne abhängt. Wer weiß, welcher Streit unter Liebenden mich hierhergebracht hat, dachte ich, und was für eine Versöhnung mich wieder entfernen wird, oder andersherum, diese Gesetzmäßigkeiten waren mir nicht klar, und vermutlich war ich schon so allein mit meinem Kummer, daß ich, ohne es zu merken, anfing, in den Teller zu weinen, und er blieb überrascht vor mir stehen, was ist los, und ich sagte, nichts, und dann heulte ich, du willst mich nicht hier haben, und er sagte, warum sagst du das, und ich wimmerte, weil ich das fühle, und er sagte, manchmal vergesse ich, daß du da bist, und dann, wenn es mir wieder einfällt, freue ich mich. Fast widerwillig sagte er das, als presse er die letzte Feuchtigkeit aus sich heraus, und ich verstand, daß dies das Maximum war, mehr konnte ich im Moment nicht erwarten, und ich fühlte mich ein bißchen besser, denn wenigstens glaubte ich ihm, und dann fügte er hinzu, ich halte dich nicht mit Gewalt hier fest, das weißt du, du kannst gehen, wann immer du willst, und ich dachte, sehr schön, aber wohin, Istanbul habe ich deinetwegen schon verpaßt, und ich begann ihn zu hassen, weil er mir auf eine so höfliche Art meine Freiheit wiedergegeben hatte, denn was konnte ich jetzt mit ihr anfangen?
    Er brachte zwei Dosen Bier und zwei riesige Gläser, goß für uns beide ein und setzte sich neben mich, und es sah so aus, als bessere sich seine Laune langsam, und ich betrachtete seine Bewegungen, die so geschmeidig waren, als hätte man seine Gelenke mit Olivenöl geschmiert, und versuchte, mich stark zu machen, ich durfte jetzt nicht nachgeben, ich war schon kurz vor dem Ende, auch wenn mir nicht klar war, um was für ein Ende es sich handelte, ich trank einen Schluck Bier und erholte mich allmählich, und ich dachte an den Koffer mit der Reizwäsche und daran, wie lang die Nächte waren und wie kurz das Leben, jede Nacht kam mir ungefähr so lang vor wie ein halbes Leben und mindestens genau so viel wert. Ich legte meine Hand auf seine und fragte, also wie geht es dir, und er war ein bißchen überrascht und sagte, ganz gut, dann fing er sich sofort und fügte hinzu, in Anbetracht der Umstände, selbstverständlich, und ich sagte, selbstverständlich, und fragte, wer ist alles gekommen, durch die Wand hat es sich angehört wie der reinste Karneval, und er

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