Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
selben Tag, auf einem saß sie auf seinen Knien, beide völlig nackt, und seine dunklen Hände bedeckten ihre weißen Brüste, auf einem anderen lag sie mit gespreizten Beinen da, und ihre Scham sah aus wie eine zarte rötliche Knospe, und ihr Gesicht leuchtete vor Erregung, davor gab es auch einige andere Fotos von ihnen, aufgenommen in verschiedenen Pariser Cafés, vielleicht aus der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft, und langsam wurde mir klar, daß die Fotos mehr oder weniger in chronologischer Reihe sortiert waren, und so betrachtete ich sie mir auch, ich versuchte sie auf dem Tisch zu ordnen, unscharfe Kinderfotos, Gruppen von mageren Kindern neben dunklen Frauen mit Kopftüchern und alternden Männern, dann kam langsam mehr Licht in die Bilder, hellere Kleidungsstücke, lächelnde Münder, und ein Foto, auf das ich mich sofort stürzte, zeigte zwei junge Männer, sie umarmten einander, und ich war mir fast sicher, daß das Arie und mein Vater waren, und daß es genau das Bild war, das mein Vater so enttäuscht gesucht hatte und für das er sich die Schublade auf die Füße hatte fallen lassen.
Arie erkannte ich leicht, groß und schwarz, mit einem breiten Lachen, das seine weißen Zähne zeigte, ein Lachen, das mir nicht gefiel, es war zu selbstsicher, zu hochmütig, ein bißchen böse in seiner Arroganz, neben ihm ein junger Mann, klein und hell, mit einem blassen, fast geisterhaften Gesicht, um nicht zu sagen gequält, und das war zweifellos mein Vater, am Tor zum Leben, mit einem zögernden, mißtrauischen Lächeln, so ganz anders als das Lachen seines Freundes, und trotzdem lag Hoffnung in seinem Gesicht, Hoffnung auf Glück, Bereitschaft zum Glück, und je länger ich ihn betrachtete, um so schwerer fiel es mir, mich von ihm zu trennen, und ich fragte mich, für was ich mich entschieden hätte, hätte ich damals gelebt, wäre ich meine Mutter gewesen, für das selbstsichere Lachen oder für das zögernde Lächeln, wie schwer war es doch, einen Partner zu wählen, oder auch nur ein Lächeln, denn manchmal war die Selbstsicherheit vorzuziehen, manchmal das Zögern, wie konnte man sich sein ganzes Leben lang auf ein einziges Lächeln beschränken.
Es fiel mir so schwer, von diesem Foto Abschied zu nehmen, daß ich es schnell in meinen Koffer legte, dann setzte ich meine Nachforschungen fort und ordnete die Fotos der Reihe nach, und ich sah, wie Joséphine allmählich von der Bildfläche verschwand, manchmal tauchte sie, bekleidet und fast ein wenig tantenhaft, zwischen allen möglichen Nackten auf, aber es war klar, daß die vielen jungen Frauen mit ihren dreisten Gliedern sie zur Seite gedrängt hatten, und das Licht in ihren Augen erlosch, ich konnte richtig sehen, wie es passierte, den Moment, in dem das Licht ausging, und ich betrachtete haßerfüllt die neuen Frauen, die natürlich heute auch nicht mehr jung waren und vielleicht auch nicht gesund, vielleicht lagen ihre Glieder sogar schon begraben unter der Erde.
Eine war dabei, die aussah wie eine Zigeunerin, dunkel und voller Zauber, sie hatte ein schwarzes Tuch um die Brüste und eines um die Hüften geschlungen, Tücher, die nur sehr locker gebunden waren, und tatsächlich fehlten sie bereits auf dem nächsten Foto, und sie war völlig nackt, nur von ihren langen schwarzen Locken bedeckt, lag sie auf einem roten Teppich, und er beugte sich über sie, er war es, ohne Zweifel, ich erkannte seinen schmalen, gut geformten Hintern, und es war nicht klar, ob das Foto davor oder danach gemacht worden war, und gleich danach sah ich sie in Aktion, sie ritt auf ihm, und er war in ihr, das zeigte der Ausdruck konzentrierter Lust in ihrem Gesicht, und das vierte Bild, vom selben Tag, warf ein wenig Licht auf die vorherigen, wenigstens auf die Identität des Fotografen, denn ich entdeckte neben dem Bett Joséphine, klein und blaß, in einem hellen Unterrock, ihre Schönheit war schon verblaßt, und die Zigeunerin hatte die Hand nach ihr ausgestreckt, zwischen ihre Schenkel, und ich konnte nicht sehen, wie dieser Griff empfangen wurde, widerwillig oder mit Vergnügen, ich konnte es nur erraten. Auf dem nächsten Foto war er schon mit einer anderen Frau zu sehen, einer langen, dünnen, kurzhaarigen Frau mit winzigen Brüsten, und von Foto zu Foto sah ich ihn altern, seine schwarzen Haare wurden grauer, die glatte Haut faltiger, die Zähne gelblicher, die Augen stumpfer und schmaler, und vor allem sein Lächeln, dieses gesunde Lächeln, wurde distanzierter,
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