Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
verletzen, und er sagte, es ist in Ordnung, ich weiß, und dann fühlte ich gleich, wie er mich umfing, innen und außen, warm und voll, und ich fühlte dieses Wort, dieses Glück, es war Glück, wie ein Wiedersehen mit jemandem, von dem ich schon geglaubt hatte, ich würde ihn nie mehr sehen, von dem ich geglaubt hatte, er sei tot, es war Glück, wie wenn man es geschafft hatte, die Vergangenheit zu reparieren, wie wenn man nach einer schweren Krankheit gesund wird, wie wenn man Eltern, die sich getrennt hatten, wieder zusammenführt, so glücklich war das und so unmöglich, und deshalb wußte ich, daß alles nicht wirklich war, und deshalb konnte ich mich nicht wehren gegen das süße Gefühl, und die ganze Zeit sagte ich mir, die Welt stirbt und ich bin glücklich, die Welt stirbt, und ich bin glücklich, und es gab Momente, wo sich die Worte in meinem Mund verwandelten, und ich sagte, ich sterbe, und die Welt ist glücklich, ich sterbe, und die Welt ist glücklich, und es schien mir eigentlich das gleiche zu sein, und auch ich verwandelte mich unter seinen Händen, und die ganze Zeit dachte ich, was für ein Glück, ich hätte mein ganzes Leben verbringen können, ohne das zu fühlen, ohne das zu tun, das sind meine wirklichen Flitterwochen, andere wird es nicht geben, nie wird es andere geben, und auch wenn sie nur ein paar Stunden dauern, lohnt es sich, und dann hörte ich ihn einen langen lustvollen Seufzer ausstoßen, der zu einem Weinen wurde, und ich umarmte ihn fest und flüsterte, nicht weinen, ich liebe dich, und er wimmerte wie ein kleines Kind, ich habe sie nicht betrogen, ich habe sie nie betrogen, sie hat das gewußt, sie hat es selbst zu mir gesagt, bevor sie starb, daß sie weiß, daß ich ihr treu gewesen bin, daß sie nicht daran zweifelt, und ich sagte, ja, ich weiß, und ich spürte, wie sein Körper abkühlte und zusammenschrumpfte, sogar die Schultern, die Hüften, die Knie, wie ein Kuchen, der aufgegangen aus dem Ofen kommt und anfängt zusammenzusinken, und er drehte sich auf die andere Seite, und sein Wimmern ging in Schnarchen über, und ich, die ich den ganzen Tag auf diese Nacht gewartet hatte, lag enttäuscht neben ihm, zählte seine lauten Schnarcher und streichelte seinen Rücken und hoffte, es sei nur ein kurzer Schlummer, aus dem er bald erwachen würde, um mich bis zum Morgen zu lieben, denn ich war wirklich nicht müde, ich hatte ja die meiste Zeit des Tages schlafend verbracht, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß er bald aufwachen würde, also stieg ich aus dem Bett und ging ins Wohnzimmer. Neben der Tür stand mein treuer Koffer, und ich nahm wieder das Nachthemd heraus und zog es an, dann setzte ich mich in die Küche, vor die alte Schuhschachtel, die dort stehengeblieben war, mit Gummis umwickelt, und ich machte sie auf und begann ziemlich gleichgültig darin zu wühlen, doch aus der Gleichgültigkeit wurde schnell Leidenschaft, bis es mir schien, als kämen mir alle Gefühle, die ich in dieser Nacht erwartet hatte, aus dieser alten Schachtel entgegen, in einer Fülle, die kaum zu ertragen war.
Mir ging es wie dem Hund des Wächters, dem man mehr und mehr Fleischbrocken seiner Träume hingeworfen hatte, so viele und so schnell, bis er es nicht mehr fassen konnte und sein Traum zu einem Alptraum wurde, genauso wurden die Glieder von den Fotos über mich gegossen, lebendige Glieder, nackt oder verführerischer als entblößt bekleidet, mit allen möglichen Wäschestücken, wogegen die Sachen aus meinem Koffer wie die Arbeitskleidung einer Pionierin der zweiten Einwanderung aussahen. Es gab so viele Augen in so vielen Farben und Formen, grün und blau und schwarz, rund und schräg geschnitten, es gab so viele Brüste und Brustwarzen und Mösen und Ärsche und Haare, eine menschliche Metzgerei, bis zum Überdruß gefüllt, wie weh es tat, zu dieser Metzgerei zu gehören, und wie weh es tat, nicht dazuzugehören, denn mich hatte er nie fotografiert, mir kam es vor, als wäre ich die einzige auf der Welt, die nie fotografiert worden war, die es nicht wert war, fotografiert zu werden. Ich versuchte, ein bekanntes Gesicht zu entdecken, aber alle Gesichter kamen mir fremd und fern vor, als seien sie in einem anderen Land oder in einer anderen Epoche fotografiert worden, und dann sah ich wieder das Bild von ihm und ihr, fast das unschuldigste Foto in der Schachtel, und daneben noch andere Fotos von beiden, die etwa zur gleichen Zeit aufgenommen worden waren, wenn nicht gar am
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