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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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wohnen doch in der Wächterbaracke, beharrte ich, und er sagte, na und, es interessiert mich nicht, wer vorher hier gewohnt hat, wenn ein Mann in einer Hundehütte wohnt, macht ihn das zu einem Hund? Oder wenn er in einem Stall wohnt, macht ihn das zu einer Ziege? Und ich fragte, warum haben Sie keine Möbel, und er sagte, ich habe alles, was ich brauche, ich mache alles auf dem Bett, er lächelte mich mit seinen gelben Zähnen an. Aber was machen Sie, fragte ich, und er sagte, ich benutze das Leben, und ich wußte nicht, ob es sich um einen Fehler handelte, schließlich war Hebräisch nicht seine Muttersprache, oder ob er es absichtlich so gesagt hatte und das die Botschaft war, und ich sah, wie er das Messer an seiner Hose abwischte, direkt in der Leistengegend, und es erschien dort ein rosafarbener Fleck, und mir war klar, daß er etwas verbarg, etwas Ekliges, das um so ekliger wurde, je mehr es sich zeigte, und ich konnte mich nicht losreißen, und aus den Augenwinkeln sah ich eine dünne helle Gestalt näher kommen, und mein Vater rief, Ja’ara, komm sofort nach Hause, und er stieß mich vorwärts, weil ich so langsam ging. Erst als wir daheim waren, sah ich, wie rot sein Gesicht vor Wut war, und in der Wohnung roch es nach Insektengift, das meine Mutter gegen Kakerlaken versprühte, sie ging die Wände entlang und sprühte, und er brüllte, wenn ich dich noch einmal in der Nähe des Wächters erwische, sperre ich dich zu Hause ein, und ich sagte, er ist überhaupt kein Wächter, daß er in der Wächterbaracke wohnt, macht ihn noch nicht zum Wächter, ebenso wie jemand, der in einem Stall wohnt, nicht zu einer Ziege wird, und er brüllte meine Mutter an, hörst du sie, sie benimmt sich wie Tirza, genau wie Tirza, und meine Mutter sprühte schweigend weiter, bis man fast nicht mehr atmen konnte in der Wohnung, und er sagte, wenn du uns umbringen willst, dann erledige es auf einmal und nicht so langsam, und ich wußte nicht, ob er zu mir sprach oder zu ihr, und ich schloß mich in meinem Zimmer ein, umarmte das weiche Lamm und dachte, wenn er überhaupt kein Wächter ist, warum habe ich dann trotzdem immer das Gefühl, daß er mich die ganze Zeit bewacht?
    Als er ein paar Tage später von dort verschwand, weil mein Vater sich beschwert hatte, fühlte ich mich viel weniger beschützt, ganze Nächte lang konnte ich vor Angst nicht einschlafen, und als ich mich nun an ihn erinnerte, dachte ich, wenn Arie nachher kommt und sich neben mich legt, werde ich ihm von jenem Wächter erzählen, sogar ohne die Moral von der Geschichte. Das ist vermutlich die Wurzel der Liebe, allen möglichen Blödsinn zu erzählen, der einem passiert ist, in der Hoffnung, daß auf dem gewundenen Weg vom Mund des einen zum Ohr des anderen die Geschichte ihre Bedeutung bekommen wird, ihre Berechtigung, als habe sich das damals nur ereignet, dachte ich, damit ich es Arie heute nacht erzählen kann, und nicht nur das, alles, was geschah, was geschieht und was geschehen wird, hat keinen anderen Sinn, als es Arie zu erzählen, auch wenn er überhaupt kein Interesse hat, es sich anzuhören.
    Draußen hörte ich Stimmen, die sich verabschiedeten, in verschiedenen Sprachen wurde eine gute Nacht gewünscht, und die Wohnungstür fiel zu und wurde sogar abgeschlossen, und ich setzte mich im Bett auf und wartete, daß er kam und mich befreite, aber er hatte es nicht eilig, ich hörte seine Stimme, nur seine, mit sich selbst diskutieren, bis ich kapierte, daß er telefonierte, und ich stellte das Telefon neben mich, wagte aber nicht abzuheben, ich legte den Kopf darauf, wie auf ein Kissen, vielleicht würde etwas von dem Gespräch zu mir dringen, und ich hörte, wie er zornig die Stimme erhob, dann knallte er den Hörer auf und stieß einen Fluch aus, wenigstens hörte es sich so an, Geschirr klapperte, und erst dann, ich wußte gar nicht, wieviel Zeit vergangen war, weil es auf meiner Uhr immer noch neun war, erst dann ging meine Tür auf, und das Licht wurde angemacht, und das Leben trat ein.
    Ich versuchte ihm zuzulächeln, aber es wurde ein schiefes Lächeln, wie das von Frauen, deren Ehemänner spät nach Hause kommen, und sie wollen Selbstachtung demonstrieren, ohne daß es ihnen wirklich gelingt, und er sagte, hallo, und ich sah, daß er mit den Gedanken noch bei seinem Telefongespräch war, und es rührte mich, daß er sich Mühe gab, aber der Fluch saß ihm noch in den Augen, und als er mich anschaute, wandte er sich gegen mich, und ich fühlte

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