Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
einem vorwurfsvollen Blick, sie sieht, wie sich mein Herz gegen sie verhärtet, wie mich der Rückstoß an die Wand preßt. Ein aggressives Weinen läßt jede einzelne ihrer Locken erzittern, und ich schreie, warum machst du es mir noch schwerer, ich halte es nicht aus mit dir, und sie schreit, und ich halte es nicht aus mit dir. Wütend springt sie auf, und ich habe das Gefühl, gleich reißt sie den Mund auf und beschimpft mich, aber sie knallt mir die Tür vor der Nase zu.
Ich mache ein paar langsame Schritte rückwärts, starre die eine zugeknallte Tür an und die andere, schweigende, Schritt für Schritt weiche ich zurück, bis ich mit dem Rücken an die Wohnungstür stoße, ich mache sie auf und gehe hinaus, unten auf der Treppe setze ich mich, im Nachthemd, auf eine kühle Stufe und betrachte den schönen Tag, der sich mit goldener Luft schmückt, ein leichter Wind führt einen Haufen Blätter spazieren, sammelt hinter sich die Reste bunter Blumen, Honigwolken schmeicheln sich sehnsüchtig ein. Schon immer habe ich solche Tage gehaßt, bin durch sie hindurchspaziert wie ein unerwünschter Gast, denn an solch einem Tag tritt die Trauer noch stärker hervor, sie findet in diesem großen Glanz keinen Ort, an dem sie sich verstecken könnte, sie flieht wie ein erschrockenes Kaninchen vor dem plötzlichen Licht und prallt wieder und wieder gegen die glitzernden Wellen des Glücks.
Hinter mir geht die Tür auf, schwere Turnschuhe stapfen die Treppe hinunter, über ihnen Noga, angezogen und gekämmt, und ich wende ihr ein erstauntes Gesicht zu, wie erwachsen sie plötzlich geworden ist, sie beugt sich zu mir und küßt mich auf die Stirn, ohne ein Wort zu sagen, und ich schweige auch und starre mit brennenden Augen dem sich entfernenden Ranzen hinterher. Eine riesige, überreife Navelorange fällt plötzlich auf den Gehweg, knapp an ihrem Kopf vorbei, und zerplatzt zu einer orangefarbenen Pfütze, wer hat ihr den letzten Schlag versetzt, nicht dieser Wind, den man kaum spürt, ein Nach-Pessach-Wind. Bald werden Kinder in die Pfütze treten, und ihre Schritte werden klebrig feuchte Spuren hinterlassen, faulig geworden, bis sie am Nachmittag zurückkommen, und auch Noga wird zurückkommen, erschöpft, die blassen Locken schlaff herunterhängend, einen Satz auf den Lippen, einen Satz, der schon auf der Treppe beginnt, so daß ich nur das Ende hören werde, Papa, Papa, Papa.
Schwerfällig stehe ich auf, mir kommt es vor, als wäre der Tag schon zu Ende, so müde bin ich, aber zu viele Stunden trennen mich noch von der Nacht. Auf Zehenspitzen gehe ich zurück ins Schlafzimmer, stelle mich ruhig neben das Bett und betrachte den schönen Körper, der vollkommen offen darauf ausgestreckt liegt, ein Körper, der nichts zu verbergen hat. Ich kenne diesen Körper seit unserer Kindheit, als er noch kleiner war als meiner und verschlossen wie eine Knospe, ich ging immer neben ihm auf der Straße, wenn er auf dem Gehweg ging, nur damit ich mich nicht wegen unseres gemeinsamen Schattens schämen mußte, ich lief gebückt vor Aufmerksamkeit, den Blick auf die graue Trennlinie zwischen Straße und Gehweg gerichtet. Vor meinen Augen hatte sich dieser Körper gestreckt und war reif geworden, bis er mich eines Abends zu sich auf den Gehweg zog und mir den Arm um die Schulter legte und ich sah, daß unser Schatten ein vollendetes Bild bot, ich war so stolz, als hätte ich durch Glauben und Hartnäckigkeit die Tatsachen des Lebens besiegt.
Enttäuscht betrachte ich ihn, suche eine Bewegung seiner Glieder, die leichte Decke liegt zerknüllt neben ihm, und die Leselampe über ihm senkt unschuldig den Kopf, als hätten wir nicht Nacht um Nacht wegen ihr gestritten. Mach schon aus, bat ich, ich kann so nicht schlafen, und er reagierte gereizt, aber ich lese noch, ich kann nicht einschlafen, ohne zu lesen, und ich verfluchte insgeheim die Lampe und wünschte ihr einen Kurzschluß, und oft genug verließ ich widerwillig das Zimmer, das Kissen und die Decke unterm Arm, und sank wie eine Ausgestoßene auf das Sofa im Wohnzimmer, und morgens schaffte er es immer, mir mit seinen Vorwürfen zuvorzukommen, wieder bist du vor mir geflohen, jede Kleinigkeit bringt dich dazu, vor mir zu fliehen.
Seine schlanken Beine liegen bewegungslos da, aber sein Mund ist zu einem Seufzer geöffnet, die gespannten Lippen eines gealterten Jünglings verlieren sich in dem welken Gesicht, werden verschluckt von den Vertiefungen seiner Wangen, unter den klaren
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