Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
den ganzen Tag, vielleicht werde ich ihn wie ein entführtes Kind verstecken, und er wird für immer zu Hause bleiben, er wird nicht mehr zu seinen langen Ausflügen aufbrechen, er wird im Bett liegen, vollkommen abhängig von unserem Mitleid, er wird Noga dafür entschädigen, daß er so oft nicht da war, er wird sich anhören, was in der Schule los war, die Lehrerin hat sie angeschrien, dabei hat sie gar nichts gemacht, überhaupt nichts, sie hat sich nur mal kurz umgedreht, um sich einen Radiergummi zu borgen, warum fallen alle immer über sie her, und ich werde die Arbeit im Stich lassen, ich kann mich nicht mehr um andere kümmern, werde ich sagen, ich werde Schwangerschaftsurlaub ohne Schwangerschaft nehmen, aber seine Krankheit werde ich geheimhalten, damit man mich nicht zwingt, ihn zu Ärzten zu bringen, nur wir werden ihn pflegen, ein verwöhnter Gefangener wird er sein, ein Riesenbaby, das sich noch nicht auf den Bauch drehen und krabbeln kann, so behalten wir ihn für uns, er soll weder gesund werden noch sterben, das Baby, das ich mir gewünscht habe, das Baby, das uns zu einer Familie machen wird.
Aber da zerschneidet ein Jammern die dunkle Stille und reißt mich aus dem Schlummer. Na’ama, ich habe Angst, hilf mir, und ich schüttle mich, was ist mit mir, was habe ich für Phantasien, und ich verkünde mit einer Stimme, deren entschiedener Ton sogar mir in den Ohren brennt, du mußt ins Krankenhaus, und er weicht zurück, seine Schultern ziehen sich zusammen, schon immer hat er Ärzte noch mehr gehaßt als Krankheiten, ich will nicht, ich will zu Hause bleiben, aber sein Protest ist schwach und ergibt sich mit Leichtigkeit meiner entschiedenen Stimme.
Ich fordere ihn auf, die Hände zu bewegen, vielleicht ist der Zauber inzwischen verflogen, aber sie bewegen sich nicht, weder seine Hände noch seine Beine, keinerlei Bewegung ist an seinem Körper zu entdecken, nur seine Lippen verzerren sich, und seine Augen flitzen erschrocken im Zimmer hin und her. Es bleibt uns nichts anderes übrig, Udigi, flüstere ich, du mußt untersucht werden, behandelt, ich weiß nicht, was ich tun soll, und er sagt, vielleicht warten wir noch einen Tag, doch ich widerspreche energisch, als hätte ich vor einem Moment nicht selbst überlegt, ihn für immer hier zu verstecken, kommt nicht in Frage, das ist unverantwortlich. Aber wie sollen wir fahren, ich kann nicht laufen, wimmert er, und ich, selbst erschrocken darüber, sage, uns bleibt nichts anderes übrig, wir bestellen einen Krankenwagen.
Sein Weinen begleitet mich, während ich Kleidungsstücke aus dem Schrank hole, schon seit Jahren habe ich ihn nicht mehr weinen gehört, seit Nogas Sturz damals, und jetzt hallt es mir in den Ohren, scharf und erschreckend, ich ziehe die ausgeblichene Jeans an, überlege es mir sofort anders und entscheide mich für einen Anzug, den ich erst kürzlich gekauft habe, einen grauen, dünnen Hosenanzug, ich mache mich sorgfältig zurecht, kämme mir die Haare, als könnte ich die Krankheit um so eher vertreiben, je gepflegter ich aussehe. Strahlend und selbstsicher werde ich in der armseligen Anonymität der Ambulanz auftauchen, und alle Ärzte werden überzeugt sein, daß ich nur zufällig dort bin, und werden uns sofort aus der Menge herausholen, und plötzlich packt mich eine seltsame Erregung angesichts dieses Abenteuers, wir haben heute morgen etwas vor, gemeinsam, nicht die übliche Arbeit, die jeder für sich erledigt. Ich spüre seine erstaunten und feindseligen Blicke auf meinem Rücken, bist du verrückt geworden, wohin, glaubst du, gehen wir, und ich wende ihm mein zurechtgemachtes Gesicht zu, was spielt das für eine Rolle, Udi, das gibt mir Sicherheit, ich entschuldige mich sofort, als handle es sich um einen Betrug, meine ergebene Stimme macht ihn munter, und er fährt fort, wieso gibt dir das Sicherheit, wenn du dich lächerlich machst, du gehst doch nicht auf eine Party, sondern ins Krankenhaus, kapierst du, weil ich mich nicht bewegen kann, aber du fängst schon an zu feiern, weil du glaubst, daß du mich auf diese Art los wirst.
Mit schweren Händen bedecke ich mein Gesicht, es ist, als würfe er von seinem Bett aus Steine auf mich, dreckige Wortfetzen, er wagt es, in mein Inneres zu dringen und dort seinen Müll abzuladen, wie kriege ich ihn aus mir heraus, wie beweise ich ihm, daß er sich in mir irrt, warum muß ich ihm überhaupt etwas beweisen, warum muß ich mich immer rechtfertigen, als wäre meine Schuld
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