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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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einem letzten Versuch um sich blickte, und ich fragte mich, ob es um die Länge der Schlange ging oder um mich, ob er jetzt herausspringen und sich noch einmal auf die Suche machen würde, aber das geschah nicht, und da kam auch schon ein leeres Taxi, und er drängte seinen grauen Rücken hinein, sein blasses Gesicht, seine tiefen Narben, seine Schafslocken, seine Stupsnase, und schon war er drin und setzte sich seufzend auf die Bank seines neuen Lebens, und ich wußte, daß dieser Anblick eines Joni, der seiner Wege geht, dieser schmerzliche Anblick, mein Leben lang in meinen Augen bleiben würde, wie ein grauer Star, nie würde er von dort verschwinden, und alles, was mir in meinem Leben noch geschehen würde, egal, ob es fröhlich oder traurig war, würde beschämt neben diesem Anblick stehen, einer Art Maßstab, an dem alles gemessen werden würde.
    Als das Taxi verschwunden war, trat ich ans Ende der Schlange, trat in seine großen Fußstapfen und ging durch den heftigen Frühlingsregen, der warm und schwärzlich war und nach Sand schmeckte, und ich stieg in das Sammeltaxi, das sich rasch füllte, und so würden wir zur Stadt hinauffahren, in einer seltsamen Reihenfolge, einer den anderen deckend, einer den anderen stützend, zum letzten Mal, und ich zitterte vor Nässe und vor Angst, denn Autos überholten uns pfeifend, eines nach dem anderen, wie aus einem Bogen geschossen, pfiffen sie in meinen Ohren. Wenn ich jetzt mit ihm im Taxi sitzen würde, in seinem Arm, würde ich es gar nicht merken, aber weil ich allein war, verstärkten sich alle Geräusche, es gab niemanden, der den Schlag abfing, und ich spürte alle Löcher in der Straßendecke, jede enge Kurve, und ich dachte, wie soll ich das nur aushalten, wie schaffe ich es, diesen Tag heil zu überstehen, diesen Abend, wohin werde ich gehen?
    Wieder drückte ich mich ans Fenster, aber diesmal mit geschlossenen Augen, es gab draußen nichts zu sehen, es gab drinnen nichts zu sehen, ich sah nur Arie, der jetzt in seiner Wohnung zwischen den Kondolenzbesuchern herumlief wie ein Löwe in seinem Käfig, und ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis er unter einem Vorwand die Wohnung verlassen und zu mir kommen würde, mir war völlig klar, daß das passieren würde, er würde nicht einfach auf meine Abhängigkeit von ihm verzichten, auf unsere krankhaften Spielchen, doch an diesem Abend erwartet ihn eine Überraschung, denn Joni wird ihm die Tür aufmachen, enttäuscht, daß ich es nicht bin, und Arie wird vor ihm stehen, auch enttäuscht, daß ich es nicht bin, die beiden Männer meines Lebens, die mich allein zurückgelassen hatten, dem Pfeifen der Autos ausgeliefert.
    Als wir die Stadt erreicht hatten, leerte sich das Taxi allmählich, jeder Fahrgast nahm sein Gepäck und stieg aus, und nur ich blieb zurück, und der Fahrer drehte sich um und fragte, wo er mich absetzen solle, und ich öffnete den Mund wie ein Fisch, ausgerechnet daran hatte ich nicht gedacht, und er lachte, Süße, wenn du keinen Ort hast, wo du hinwillst, kannst du mit zu mir kommen, und ich beschloß schon fast, bei meinen Eltern auszusteigen, aber es würde mir schwerfallen, ihre Fragerei auszuhalten, und da sagte ich, halten Sie an der Universität, bitte, und der Fahrer wunderte sich, um diese Uhrzeit? Denn es wurde langsam dunkel, und ich gab ihm keine Antwort, ich hatte keine Kraft zu sprechen, und wieder sah ich den Schornstein des Krankenhauses, aus dem Rauch aufstieg, das ist der Rauch des Opfers, der zum Rauch der Reue wurde, der Tirzas schweren Körper neben dem dunklen Fenster einhüllte und nur auf mich wartete.
    Das Taxi hielt vor dem Eingang der Universität, und ich stieg schwerfällig aus. Der Fahrer fragte, was ist mit dem Koffer, und ich sagte, ich habe keinen Koffer, und er wunderte sich, so sind Sie ins Ausland geflogen, ohne alles, und ich sagte, ich bin nicht ins Ausland geflogen, ich wollte nur jemanden treffen, der zurückgekommen ist. Und wo ist er, warum sind Sie allein, fragte er verwundert, und ich sagte, das ist eine gute Frage, ein ganzes Buch könnte man über diese Frage schreiben, dann ließ ich mich von der Rolltreppe hinauffahren, gegen den Strom, denn alle fuhren jetzt hinunter, ein wilder Strom die Rolltreppe abwärts, und nur ich fuhr hinauf, rannte, um nicht zu spät zu kommen, als hinge mein ganzes Leben davon ab, und ich betrat die Bibliothek, der Duft der Bücher umfing mich, und ich bat die Bibliothekarin um das Buch, und sie sagte, aber

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