Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
alter Jugendlicher in Sportkleidung mit einem vollkommenen, makellosen Körper, ganz anders als die Frau gegenüber, deren eines Bein geschwollen und blutig ist, oder die Frau hinter dem Vorhang, durch deren durchsichtige Haut man alle Knochen sehen kann und über deren Mund ein weißer Verband liegt, als gäbe es irgend etwas auf der Welt, das sie noch mehr gefährdet als der Satan in ihr selbst. Warum habe ich es so eilig gehabt, ihn hierherzubringen, das ist nicht der passende Ort für ihn, schließlich war er noch nie krank, und ich habe Lust, mich zu ihm hinabzubeugen und ihm ins Ohr zu flüstern, komm, Udigi, komm, fliehen wir von hier, komm, gehen wir heim. Plötzlich wird die enge, angespannte Wohnung, die wir gerade verlassen haben, zu einem Königreich des Glücks und der Gnade, das dämmrige Schlafzimmer sieht anziehend und verlockend aus, los, bewege schon deine Beine, es kann doch nicht sein, daß sie wirklich gelähmt sind, das ist ja, als würde der Erdball eines Morgens aufhören, sich zu drehen. Ich streiche seine Haare zurück, lege seine hohe Stirn frei, die gekrümmten Falten, die darauf gezeichnet sind, Udigi, weißt du noch, wie du immer in der Zehn-Uhr-Pause zu mir in die Klasse gekommen bist und gesagt hast, komm, fliehen wir, gehen wir heim, und dann sind wir abgehauen, haben uns unterwegs ein mit weißen Salzkristallen bestreutes Bejgele gekauft, das ich mir wie einen Armreif über das Handgelenk schob, und dann gingen wir entweder zu dir oder zu mir nach Hause, je nachdem, welche Wohnung an diesem Morgen leer war, und Udi seufzt und sagt, ich wäre froh, wenn ich jetzt mit dir irgendwohin fliehen könnte, No’am, so nannte er mich damals, aus einer Mischung von Zuneigung und Stichelei, denn ich war noch vollkommen flach und hatte kurze Haare, von weitem sahen wir aus wie zwei Jungen. Ich lasse nicht locker, wenn du willst, kannst du es, Udi, konzentriere dich, gib dir Mühe, und er schaut mich fast mitleidig an und sagt, du bist einfach nicht bereit, das zu akzeptieren, was dir nicht in den Kram paßt, kapierst du nicht, daß ich nicht kann, es ist, als hätte es in mir einen Kurzschluß gegeben, wie soll ich dir das klarmachen, und ich senke den Kopf, es fällt mir schwer, zu sehen, mit welchem Appetit seine Lippen die Wörter abbeißen, meine Augen sind auf den Fußboden gerichtet, das Verständnis ist wie ein Eichhörnchen, da huscht es auf einen zu, und schon ist es verschwunden, nur die Spitze seines prächtigen Schwanzes blitzt noch zwischen den Betten auf, den ganzen Morgen versuche ich schon zu verstehen und nicht zu verstehen, ihm näher zu kommen oder mich zu entfernen, die widersprüchlichen Anstrengungen verbrauchen Kraft, meine Hände gleiten über seinen Kopf, von außen sieht alles heil aus, keine Beule, nichts Entstelltes, und in dem Moment, als ich glaube, ich hätte das Eichhörnchen mit Nüssen angelockt und könnte es fangen, wird grob der Vorhang aufgerissen, und eine junge Schwester mit einem schönen, energischen Gesicht fragt, was das Problem ist.
Ich kann die Beine nicht bewegen, verkündet er freundlich, und meine Hände sind ebenfalls schwach. Sie schaut seine Hände an, die eine ist noch mit meiner verschränkt, und ein Hauch von Spott zeigt sich auf ihrem Gesicht bei diesem Anblick, ihr glaubt wohl, das hilft was, sagt ihr schönes Gesicht, ihr glaubt wohl, zu zweit ist man stark, aber Krankheiten lassen sich von solchen Gesten nicht beeindrucken, Krankheiten lieben es, Paare zu trennen. Wann hat das angefangen, fragt sie gleichmütig, und er sagt, heute morgen, ich bin heute morgen aufgewacht und konnte nicht aufstehen, das Erstaunen in seiner Stimme ist noch frisch, er ist bereit, jeden daran teilhaben zu lassen, sogar die stöhnende Bettnachbarin ist für einen Moment still und schaut ihn mit roten Augen an, macht seiner vollkommenen Verwunderung über die Kapriolen der Schöpfung Platz, und es scheint, als füllte sich das ganze Weltall mit der Verwunderung des Neuman, Ehud, Sohn Israels, wie bald auf dem Schild an seinem Bett geschrieben sein wird, beliebter Reiseleiter, fast vierzig Jahre alt, verheiratet, eine Tochter, dessen Glieder ihm nicht mehr gehorchen.
Als gäbe sie eine Art unpassender Antwort, die nichts mit der Frage zu tun hat, wühlt sie in der Tasche ihres Kittels, zieht ein Fieberthermometer hervor und hält es ihm hin, ich nehme es ihr schnell aus der Hand, um zu vermeiden, daß seine Finger wieder so seltsam anfangen zu flattern, und
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