Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
rechtfertige mich, er liegt im Bett, und führe sie hinein zu seinem strahlenden, jungenhaften Lächeln, das ich schon lange nicht mehr gesehen habe, zu diesem Lächeln, das er für Fremde reserviert hat, für seine Kunden, die auf den Ausflügen zielstrebig hinter ihm herlaufen. Was ist das Problem, fragen sie, und er sagt ruhig, als habe er sich innerlich damit abgefunden, ich fühle meine Beine nicht, sie lassen sich nicht bewegen, und auch meine Arme bewegen sich kaum, und sie schauen ihn ungläubig an, so sportlich sieht er aus in seinen kurzen Turnhosen. Wann hat das angefangen, wollen sie wissen, ist Ihnen das früher schon mal passiert, und er sagt, nein, nie, erst heute morgen, da konnte ich nicht aufstehen. Tut Ihnen etwas weh, fragen sie, und er schielt entschuldigend zu mir, alles tut mir weh, sogar die Glieder, die ich nicht spüre, tun mir weh, und die beiden, nicht irritiert von diesem Widerspruch, strecken die Hände aus, greifen nach seinem pochenden Handgelenk, legen ihm die Manschette um den Arm und lauschen interessiert dem Rhythmus seines Lebens, und dann verkünden sie, man muß Sie gründlicher untersuchen, wir nehmen Sie mit zur Ambulanz. Soll ich was einpacken, frage ich mit erstickter Stimme, noch etwas zum Anziehen, eine Zahnbürste? Und sie sagen, das wäre wohl besser, warum nicht, der ältere der beiden schaut mich mitleidig an, und ich antworte ihm mit einem gequälten Lächeln. Ihre Anwesenheit beruhigt mich ein bißchen, nur nicht allein mit ihm bleiben, ich renne herum, stopfe Unterhosen und Strümpfe in meine alte Tasche und einen Morgenrock, genau wie ich damals meine Tasche zur Entbindung gepackt hatte, gebückt von den Wehen, die meinen Körper in der Mitte spalteten, dann noch eine Haarbürste und einen Büstenhalter, und plötzlich schaue ich erstaunt in die Tasche, was tue ich da, ich packe ja für mich, nicht für ihn, ich kippe alles auf das Bett und stürze mich auf seine Fächer im Schrank, und er sagt, packe auch ein Buch ein, damit ich was zu lesen habe, und ich frage, was für ein Buch, und er liegt schon auf der Trage, und seine Füße schaukeln in der Luft. Meine Bibel, sagt er, sie ist in meinem Rucksack.
Als traurige Karawane verlassen wir das Haus, Udi lang und schwach auf seiner Trage, einen Ausdruck vollkommenen Zutrauens im Gesicht, wie ein Baby, das von seinen Eltern im Wagen die Treppe hinuntergetragen wird, ich schließe aufgeregt die Tür und lehne mich zum Abschied an sie, wer weiß, wann ich sie wiedersehen werde. Um den Krankenwagen versammeln sich ein paar neugierige Nachbarn, was ist passiert, fragen sie erstaunt, und er, der sich normalerweise kaum die Mühe macht, auch nur zu grüßen, antwortet ihnen freundlich und beteiligt sie an den Ereignissen des Vormittags, und die Tochter der Nachbarn unter uns, eine Frau, die gerade erst aus Indien zurückgekommen ist, erzählt ihm von erstaunlichen natürlichen Heilkünsten. Wenn sie dir im Krankenhaus nicht helfen können, sagt sie, dann gib mir Bescheid, und er nickt dankbar, er sieht aus, als würde er gerne weitere Einzelheiten hören, aber die Männer in ihren strahlenden weißen Jacken unterbrechen ungeduldig diese neue Intimität und schieben ihn hinten in den Wagen, mit geübten Bewegungen wie Müllmänner, und ich schließe mich ihm an, setze mich auf die Bank, die für erschrockene Angehörige reserviert ist, von denen man durch die Vorhänge nur das Profil sieht, wenn das Auto mit eingeschalteter Sirene an einem vorbeifährt, man hebt den Blick, sieht das Profil und weiß, daß das Leben der Leute im Auto zerbrochen ist, ihr Schicksal durchschnitten.
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3
Durch die weißen Vorhänge, diese Zeugen des Leids, sehe ich, wie meine vertraute Welt mir zuwinkt, mit großzügigen Bewegungen, und sich für immer von mir verabschiedet. Da ist der Gemüseladen, wild und bunt wie die Palette eines Malers, da ist das neue Café mit seinen immer gleichen Vormittagsgästen, plötzlich sehe ich sie genau vor mir, kann erkennen, was sie auf dem Teller haben, gleich werden wir an dem alten Café vorbeikommen, dort habe ich immer gern gesessen, als Noga noch ein Baby war, die Kellnerin gab ihr mürbe Zitronenplätzchen, die sie im Mund zergehen ließ, so daß ihr säuerlich-süße Spucke übers Kinn lief, sie schickte ein Lächeln aus ihrem Kinderwagen, ein Lächeln, das zu strahlend war, um persönlich gemeint zu sein, und ich schaute nur sie an, die Spucke, die an ihrem Hals entlangrann, und achtete nicht auf
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