Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
es nicht so sein wird, und die Erkenntnis, daß alles vorbei ist, trifft mich hart, nie wird mir eine zweite Chance geboten werden. Ich lasse mich mit letzter Kraft auf eine Bank fallen, erschöpft wie eine Wöchnerin, auch ich habe schmerzhafte Nähte, alte Nähte, die sich entzündet haben und nicht heilen wollen, doch da setzt sich eine Frau im Morgenrock neben mich, einen durchsichtigen Wagen mit sich ziehend, und ich erhebe mich sofort, ihr Blick folgt mir ohne jede Neugier, aber er bedrückt mich, als hätte man mich bei einer Vorspiegelung falscher Tatsachen ertappt. Schnell gehe ich zu Etis Zimmer am Ende des Korridors, ein starres Lächeln auf den Lippen, das ist immer der schwerste Moment, soll man etwa herzlichen Glückwunsch sagen, wenn der Tag der Geburt gleichzeitig der Tag der Trennung ist? Alle Achtung, Etile, sage ich vorsichtig, du warst eine richtige Heldin, hat man mir gesagt, und sie schaut mich mit zornigen Augen an, es war ein Alptraum, frag mich nicht, er hat sich in meinem Bauch festgekrallt wie eine Zecke, und ich streichle ihren knochigen Arm, es ist wirklich schlimm, aber mit der Zeit vergißt man das, und sie sagt, wie eine Zecke hat er sich in mir festgekrallt, sechsunddreißig Stunden lang wollte er nicht raus, trotz Wehenmittel und allem was du dir vorstellen kannst, ich bin fast gestorben, so höllisch waren die Schmerzen, ich weiß nicht, was ich ihm getan habe, daß er sich so festgekrallt hat, und ich frage, hast du ihn schon gesehen, und sie sagt, was fällt dir ein, ich will ihn nie sehen, er ekelt mich an.
Aber Eti, dränge ich, er ist dein Kind, du hast ihn geboren, gerade deshalb ekelt er mich an, sagt sie kalt, wenn du ihn geboren hättest, hätte er mich nicht angeekelt, verstehst du das nicht, er ist ein Nichts, genau wie ich, er ist nichts wert, und sie breitet gleichgültig ihre mageren Arme aus. Ich möchte nur raus aus diesem Loch hier, murrt sie, ich möchte allein sein, ohne eure Aufsicht, und ich frage, was wirst du tun, wenn du allein bist, obwohl ich die Antwort weiß, sie wird sich Heroin spritzen und auf ihrer stinkigen Matratze liegen und sich fühlen, als wäre sie die Königin der Welt. Traurig betrachte ich sie, ihr Gesicht ist dunkel, ihr Hals faltig, dies ist nicht das erste Kind, das sie zur Adoption freigibt, als sie jung war, hat sie ein Kind weggegeben, das jetzt mindestens zwanzig Jahre alt sein muß. Sie behauptet, keine Hure zu sein, nur für das Rauschgift schlafe sie mit Männern, und wenn das zu einer ungewollten Schwangerschaft führe, eine Art Nebenwirkung der Droge, gibt sie das Kind zur Adoption und macht weiter. Ich habe gedacht, ich wäre schon zu alt dafür, kichert sie, und ich halte ihre Hand, sie sieht alterslos aus, geschlechtslos, ich frage mich, ob es einen Spalt in dieser rauhen Haut gibt, einen Zugang zu ihrem Innersten, eine Möglichkeit, sich einen Moment lang nahe zu sein, und ich sage, komm, schauen wir uns das Baby an, du sollst doch wissen, von wem du dich trennst, es ist wichtig, daß du siehst, wie lebendig und süß er ist, kein Ungeheuer, glaub mir, und sie weicht zurück, laß mich endlich in Ruhe, Na’ama, ich möchte diesen kleinen Blutegel nicht sehen. Da opfere ich mich und sage, dann gehe ich allein und beschreibe ihn dir, und sie zuckt mit den Schultern, tu’s doch, wenn du mit deiner Zeit nichts Besseres anzufangen weißt.
Schweren Herzens betrete ich das Säuglingszimmer, wie Rekruten sind sie dort aufgereiht, Bett neben Bett, und mir fällt ein, wie ich Noga immer vom Säuglingszimmer geholt habe, Noga mit dem herzförmigen Gesicht und den gekräuselten Rosenlippen, und einmal kam ich durcheinander, plötzlich stand ich mitten in der Nacht vor einem anderen Gesichtchen, erst da schaute ich auf das Namensschild und entdeckte, daß das Kind gar nicht mir gehörte. Da ist er, Etis kleiner Junge, ein Irrtum ist ausgeschlossen, er sieht ihr sehr ähnlich, ein schwarzer, wütender Gnom, seine Fäustchen zittern, und nicht nur sie, sein ganzer kleiner Körper zittert, und die Schwester seufzt hinter mir, er macht eine Krise durch, der arme Kerl, er ist drogenabhängig geboren, wir entziehen ihn jetzt. Es wird alles gut, Kerlchen, flüstere ich ihm zu und streichle seine faltige Wange, wir holen dich aus diesem Schicksal heraus, wir pflanzen dich in eine andere Erde und du wirst blühen, und plötzlich empfinde ich Stolz, ich richte mich auf, siehst du, sage ich leise zu Udi, wir retten Leben, dieser Junge wird bald
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