Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
will mich doch selbst nicht mit einem Kind, aber wenn ich es weggebe, werde ich mir das nie verzeihen, die ganze Zeit werde ich an die Sünde denken, die ich begangen habe, indem ich auf mein Kind verzichtete, mein ganzes Leben lang werde ich bestraft sein, und ich werde keine weiteren Kinder bekommen. Um Gottes willen, unterbreche ich sie schnell, wieso solltest du Strafe verdienen? Wenn du auf dein Kind verzichtest, um ihm ein besseres Leben zu ermöglichen, dann ist das eine reife und edle Tat, die keine Strafe verdient, im Gegenteil, sie verdient Anerkennung, und sie zuckt sofort zurück, du findest also, ich müßte es weggeben, du wirst mich dazu zwingen, es wegzugeben. Wieso denn das, sage ich, du triffst die Entscheidung ganz allein, sie liegt in deiner Hand, ich kann dir nur dabei helfen, die Sache als Ganzes zu beurteilen. Müde stehe ich vom Gehweg auf, es ist schon neun, die Sitzung wird gleich zu Ende sein, und da taucht wieder dieser Morgen vor mir auf, der Sonnenaufgang, der keiner war, das hellblaue Licht, die Kühle, Soharas Haare, die auf ihren Schultern hüpften, während sie die leere Straße entlangrannte, und ich frage das Mädchen, wie heißt du, und sie sagt leise, Ja’el. Ich betrachte sie auf die gleiche konzentrierte Art, wie ich an diesem Morgen betrachtet worden bin, hör zu, Ja’el, du mußt die Entscheidung nicht gleich heute treffen, du hast noch mindestens zwei Monate Zeit, aber versuche, deinen Blickwinkel zu ändern, versuche, alles, was passiert ist, als Chance zu sehen, nicht als eine Katastrophe, versuche, etwas Gutes daraus zu machen. Etwas Gutes, ruft sie, genau wie ich gestern, wie kann man etwas Gutes daraus machen? Und ich sage, ich weiß nicht genug von deinem Leben, vielleicht schaffst du es, dich von ungesunden Verhaltensmustern zu befreien, was deine Beziehung zu Männern anbelangt, vielleicht bringt es dich deinen Eltern näher oder es macht dich reifer, jetzt ist es noch zu früh für eine Entscheidung, geh nach Hause, versuche, dich zu beruhigen, und wenn du unsere Hilfe möchtest, wir sind hier, doch sie hält mich wieder am Kleid fest, zerknautscht mit den Fingern die Chrysantheme, die auf ihm blüht, ertränkt mich in einem Schwall von Worten. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll, ich kann die Schwangerschaft schon nicht mehr verbergen, und wenn die Mädchen, mit denen ich die Wohnung teile, es herausbekommen, erfahren es meine Eltern, ich habe niemandem ein Wort davon gesagt, sogar meinen besten Freundinnen nicht, wenn ich das Kind zur Adoption weggebe, will ich nicht, daß irgend jemand etwas davon weiß, und ich nicke, es sollten wirklich sowenig Leute wie möglich etwas davon wissen, aber die Schwangerschaft wird sie nicht länger verstecken können.
Was soll ich machen, sagt sie weinend, ich habe Angst, zu euch zu kommen, ich habe Angst, daß ihr versucht, mich zu überreden, ich habe Angst vor den anderen Mädchen, und ich sage, Ja’el, ich muß jetzt wirklich gehen, denke ein paar Tage darüber nach, sie schaut mich mit nassen Augen an, ihr Mund verzieht sich flehend, aber ich kann wirklich nicht mehr bleiben, ich tippe den bekannten Code ein, die Tür geht vor mir auf, ich schicke ihr noch ein flüchtiges Lächeln zu, das bedeuten soll, jetzt habe ich was zu tun, aber ich bin hier, falls du mich brauchst.
Ihr enttäuschter Blick verfolgt mich, ich habe sie ebenfalls im Stich gelassen, aber ich drehe mich nicht um, obwohl man mich im Heim nicht so dringend braucht, ich hätte bei ihr bleiben sollen, die Sitzung ist sowieso zu Ende, und schon überlege ich, ob ich zu ihr zurückgehe, da kommt mir Annat auf der Treppe entgegen, von weitem sieht sie aus wie ein alternder Junge, mit den engen Jeans und den kurzen grauen Haaren. Wo warst du, fragt sie, Chawa sucht dich, und ich seufze, ich habe mir ja gedacht, daß die Sache nicht kommentarlos vorbeigehen würde, und sie fügt hinzu, du weißt doch, daß Ati gestern ihr Kind bekommen hat, du solltest später mit den Formularen zu ihr gehen, und ich antworte nicht, betrete zögernd das Heim. Jeder, der eintritt, bleibt erst einmal staunend am Eingang stehen, nicht nur die Mädchen, die neu hierherkommen, auch mir geht es noch oft so, so schön ist es hier, sagen alle, ich wünschte, ich hätte so eine schöne Wohnung, und es stimmt, eine Wohnung über drei Ebenen, prachtvoll und großzügig. Aber heute halte ich mich nicht auf, ich gehe direkt zu Chawas Büro, sie liegt in ihrem Liegestuhl, einer Art
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