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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Strandliege, die sie hergebracht hat, weil ihr der Rücken weh tut und sie schlecht sitzen kann, die Lesebrille vergrößert ihre Augen, aber sie nimmt sie ab, als ich eintrete, und legt den Stapel Formulare auf die Knie.
    Was für ein schöner Morgen, verkündet sie feierlich, bist du jetzt erst aufgewacht? Ich denke an diesen Morgen, an seinen blauen Anfang, ganze Jahreszeiten sind seither vergangen, und ich stottere, nein, wirklich nicht, ich bin mit meinem Mann zu einer Untersuchung gefahren, und sie seufzt, wie soll das weitergehen, Na’ama, und ich fange schon an, mich zu verteidigen, aber sie unterbricht mich mit unerwarteter Wärme. Ich sehe, wie schwer du es hast, sagt sie, vielleicht nimmst du ein paar Tage Urlaub, eine Woche oder zwei, nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, pflege ihn, bis es ihm wieder gutgeht, dann komm zurück, damit du nicht die ganze Zeit zwischen uns und ihm hin und hergerissen bist. Ihr weicher Ton verwirrt mich, doch ich schüttele heftig den Kopf, nein, das wäre mir jetzt nicht recht, den ganzen Tag mit ihm eingesperrt zu sein, was soll das heißen, ihn pflegen, bis es ihm wieder gutgeht, ich habe keine Ahnung, was ich mit ihm anfangen soll und wann es ihm wieder gutgehen wird, und ich sage, danke, Chawa, ich würde lieber so weitermachen, und sie spielt mit ihrer Brille, betrachtet mich mit einem großen Auge wie durch ein Vergrößerungsglas, ich weiß, daß du mich für zu hart hältst, sagt sie mit ruhiger Stimme, und vielleicht hast du recht, aber ich habe keine Wahl, wir alle haben keine Wahl, wir dürfen uns nicht allzusehr mit dem Leid um uns herum identifizieren, das wäre zu einfach, wir müssen darüber hinauswachsen. Möchtest du eine Tasse Tee, fragt sie dann, und ich betrachte den großen Körper, der sich jetzt bewegt, und zum ersten Mal bemerke ich seine Verletzlichkeit, was ist mit ihr passiert, mit dieser Chawa, die doch so vollkommen ist, mit einem reichen Mann, einem schönen Haus und gesunden, netten Kindern, und es scheint, als könne sie meine Gedanken lesen, ich habe es im Moment auch nicht leicht, sagt sie, ich hatte alle möglichen Probleme in der letzten Zeit, aber ich lasse nicht zu, daß mich die Schwierigkeiten beherrschen, Na’ama, und du gibst dich deinen hin, und ich sage, danke, ich möchte keinen Tee, und sie seufzt, schiebt mit einer überraschend weiblichen Bewegung eine graue Locke aus der Stirn, sei nur aufrichtig genug, mit mir und mit dir selbst, und hüte dich vor zu großer Identifikation, fügt sie ernst hinzu, denn wenn wir selbst Kummer haben, ziehen wir wie ein Magnet den Kummer der anderen an, und er mischt sich mit unserem, und das ist das gefährlichste.
    Verwirrt verlasse ich ihr Zimmer und schaue mich um, versuche, die allgemeine Stimmung dieses Morgens aufzunehmen, hier ist immer alles empfindsam und zerbrechlich, jede Geburt, jedes unterschriebene Formular verändert das Gleichgewicht, sofort drängen sich alle zusammen, wie geht es ihr, was hat sie entschieden, immer gibt es eine, die ihre Mißbilligung ausdrücken muß, wenn ich solche Bedingungen hätte wie sie, würde ich mein Kind aufziehen, und eine andere, die daraufhin sagt, was für ein Glück, daß du sie nicht hast, mir tut das Kind leid, das du aufgezogen hättest. Ich sehe Ilana am Waschbecken stehen, sie spült Geschirr, mit ungeschickten Bewegungen, überall verspritzt sie Seifenwasser, und am Eßtisch sitzt Chani, vor sich ein rosafarbenes Wollknäuel, in der Hand das Strickzeug. Ich muß den Pulli bis zur Geburt fertig haben, erklärt sie mir aufgeregt, ich muß meinem Baby irgend etwas von mir mitgeben, und Ilana klappert verärgert mit den Tellern, sie macht uns schon ganz verrückt damit, mault sie, dabei braucht das Baby diesen Pulli doch gar nicht, das kannst du mir glauben, sie wird in ihrem neuen Zuhause genug Pullover bekommen von ihren Adoptiveltern, die im Geld schwimmen, bestimmt wartet schon ein ganzer Haufen schön zusammengelegter Sachen auf das Kind, in einer Kommode mit einem aufgemalten Schneewittchen.
    Aber ich möchte, daß ihr etwas von mir bleibt, zum Andenken, beharrt Chani, es wird ihr Lieblingspullover sein, und Ilana lacht ihr hartes böses Lachen, meine Güte, bist du blöd, sie werden den Pulli sofort in den Mülleimer werfen, habe ich recht? Sie schaut mich mit ihren kleinen trüben Augen an, und ich sage, Ilana, ich verstehe, daß es dir schwerfällt, aber laß Chani in Ruhe, wenn sie etwas für sich tun will, es ist ihr

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