Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
auf ihrer schmutzigen Matratze liegen und die Königin der Welt sein.

#
    12
    Die Sonne, die ich früh am Morgen herbeigesehnt habe, verfolgt mich jetzt feindselig, wirft mir aus den Autospiegeln stechende Strahlen entgegen, drei Lichtstreifen wie drei Messer, die mir nicht erlauben, nach rechts oder links zu fahren oder zu wenden, ich kann nicht zurück zum Heim und nicht nach Hause, ich kann nur geradeaus fahren, als würde ich entführt, zu dem Ort, der nur mir gehört, an dem ich für niemanden sorgen muß, und ich fahre schnell, bevor es mir leid tut, stelle mir den Anblick des Himmels vor, der mich durch die Wipfel hinweg anstrahlen wird, während ich entspannt auf der Wiese liege und weder Hunger noch Durst fühle, weder Erwartung noch Kränkung.
    Je weiter ich komme, um so schmaler werden die Straßen, und meine Augen werden grüner, sogar mitten im Sommer leuchten hier Orangen im Laub, betrachten mich neugierig, seit dem Tod meines Vaters war ich nicht mehr hier, und auch davor nicht eben häufig, es war mir immer unheimlich, wenn meine Erwachsenenwelt auf die meiner Kindheit traf. Wenn ich meinen Vater besuchte, fing ich immer plötzlich an zu hinken, als wäre mein Bein nach einem Bruch nicht gut verheilt, aber heute komme ich gern, denn das hier ist der einzige Ort, der mir geblieben ist, hier warten mein Vater und meine Mutter mit dem Mittagessen auf mich, sie sitzen sich an unserem großen Tisch gegenüber, werfen ab und zu einen besorgten Blick auf die Uhr, wo steckt sie bloß, warum kommt sie so spät? Hier, ich kehre von der Schule zurück, ihre Trennung hat mir das Leben noch nicht vergällt, sie steckt noch im verborgenen Käfig der gefährlichen Gedanken, sie schreit manchmal in den Nächten, aber ich höre noch nichts, nur die Gespräche der Schakale wecken manchmal bei Nacht eine dumpfe Angst in mir. Das ist mein Weg nach Hause, zwischen den Orangenplantagen hindurch, eine dunkle ländliche Straße ohne Autos, zuweilen gehe ich abends barfuß diese Straße entlang, und obwohl sie trocken und fest ist, spüre ich weiche Strömungen unter dem Asphalt, die Reste einer Hitze, die mir aus der Tiefe der Erde entgegengeschickt wird, wenn ich die nahe, immer unter Wolken liegende Eichenallee hinaufgehe, hier habe ich mich immer am Straßenrand ausgeruht, hier habe ich Eicheln gesammelt, die harten Früchte herausgeholt, um sie dann wieder in ihren aufgeplatzten Wiegen zu verstecken.
    In der früheren Guavenplantage, die jetzt mit Asphalt bedeckt ist, parke ich das Auto und versuche den Platz zu finden, an dem damals mein Lieblingsbaum gestanden hat, der mit den rotesten, schwersten und süßesten Guaven, die wie Laternen in den Zweigen leuchteten, ich renne nach Hause, wartet auf mich, Mama, Papa, fangt nicht ohne mich an zu essen, räumt den Tisch nicht ab, stellt die Teller nicht weg, hier bin ich, aus der Schule zurück, meine Hefte sind ordentlich, meine Bücher sauber, heute passe ich auf Jotam auf, damit ihr ausgehen könnt. Wie plötzlich war das alles gekommen, ich hatte keinen Verdacht geschöpft, meine Mutter sah so glücklich aus mit uns, ihrer kleinen Familie, sie war so schön mittags, mit der karierten Schürze und den Schweißtropfen auf der Oberlippe, wir haben sie alle drei geliebt, der kleine Jotam, der immer an ihrem Schürzenzipfel hing und weinte, wenn sie auch nur kurz wegging, ich, die ich sie bewunderte und nicht aus den Augen ließ, und mein Vater, der viel älter war als sie und alles tat, um sie zufriedenzustellen, nie zankten sie sich, immer sprachen sie leise und höflich miteinander, und alles sah wunderbar aus, bis sich herausstellte, daß ihr das alles nicht genügte, dieses Leben, es reichte ihr nicht, jeden Tag Huhn mit Püree zu kochen und mittags einem alternden Mann gegenüberzusitzen, der sie langweilte, sie war noch jung, sie wollte leben, sie wollte Schauspielerin sein, singen und tanzen, sie wollte nicht in dieser gottverlassenen Moschawa und in diesem alten Haus verfaulen, ein armseliges Jewish-Agency-Haus, so nannte sie es immer, es ist das Haus, vor dem ich jetzt stehe, alle anderen Häuser haben sich vollkommen verändert, wie Kinder, die erwachsen geworden sind, sie sind in die Breite und in die Höhe gewachsen und nicht mehr wiederzuerkennen, nur dieses Haus ist klein geblieben. Da sind die Überreste unseres kleinen Gartens, ein einsamer Flammenbaum steht in der Mitte, ich habe ihn meinen Geburtstagsbaum genannt, denn an meinem sechsten Geburtstag bin ich

Weitere Kostenlose Bücher