Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Eltern haben, die ihn liebevoll aufziehen, die dafür sorgen, daß er alles bekommt, was ihm fehlt, und statt mitzukriegen, wie seine Mutter für Geld mit Männern schläft und sich Spritzen setzt, wird er Zeichentrickfilme sehen und mit Lego spielen und Bücher lesen.
Und was wirst du tun, wenn er im Gymnasium seinen Freunden nachläuft und selbst süchtig wird, höre ich Udi einwenden, stell dir vor, daß er genau im gleichen Loch landet wie seine Mutter, vielleicht wird sie es sogar sein, die ihm das Zeug verkauft, oder er ihr, und ich werde wütend, natürlich kann alles mögliche passieren, aber wir geben ihm die Chance zu einem anderen Leben, wenn er bei ihr bleibt, ist sein Schicksal entschieden, und ich denke an Noga in ihrem durchsichtigen Bett, was wäre aus dir geworden, wenn andere Eltern dich mitgenommen hätten, vielleicht hättest du einen Vater bekommen, der dich nicht streitlustig und rachsüchtig hätte fallen lassen, vielleicht eine andere Mutter, die dich nicht mit ihren Schuldgefühlen angesteckt hätte, Udi hat recht, das Wissen ist eine lächerliche Illusion, undurchlässige Schleier bedecken die Augen des Menschen. Ich streichle zum Abschied die winzige Hand, da schließen sich plötzlich kleine Finger um meinen großen, unerwartet kräftig, und ein Weinen kommt aus seinem Mund, was möchte er mir sagen, daß er trotzdem bei seiner Mutter bleiben will, die ihn haßt, in kurzer Zeit werde ich die Formulare aus der Tasche ziehen, doch jetzt geht die Schwester mit einer Flasche zu ihm, er hat Hunger, der Arme, sagt sie und hebt ihn hoch, er läßt meinen Finger los, seine Augen sind geschlossen, überhaupt noch nicht aufgegangen, warum habe ich dann das Gefühl, daß er mich anschaut, ich fliehe wie eine Verbrecherin zu Eti, die mich mit geschlossenen Augen erwartet, die Ähnlichkeit zwischen beiden ist wirklich erstaunlich, niemand wird sie übersehen können, wenn sie sich an denselben Plätzen herumtreiben, aber warum sollten sie sich an denselben Plätzen herumtreiben?
Etale, er ist wirklich süß, sage ich, er sieht dir sehr ähnlich, und sie macht eine verächtliche Handbewegung, das interessiert mich nicht, von mir aus kann er dir ähnlich sehen, und ich halte ihr die Formulare hin, ich möchte, daß du sie liest, und sie murrt, laß mich endlich in Ruhe, es ist mir egal, was da drauf steht, ich will ihn nicht, das habe ich dir ja gesagt. Ich bleibe stur, du mußt das lesen, Eti, es ist keine Kleinigkeit, daß du auf ihn verzichtest, du mußt verstehen, was das bedeutet, und sie räsoniert, ich weiß, was das bedeutet, nämlich daß ich euch morgen um diese Zeit los bin, ich gebe nicht auf und lese ihr laut und langsam die Worte vor, dann nimmt sie meinen Stift und unterschreibt, mit fast geschlossenen Augen, blaue Tintenflecken bleiben auf dem Rand des Papiers zurück, die Arbeit ist erledigt, auch wenn sie leicht ist, ist sie schwer. Ich seufze, ihre Gleichgültigkeit stößt mich ab, obwohl sie es mir bequem macht, ich muß nichts erklären und nichts diskutieren, ich muß nicht trösten und nicht Mut zusprechen. Sie holt eine Schachtel Zigaretten aus ihrem Nachttisch und treibt mich an, komm, gehen wir, ich begleite dich zur Halle, da können wir uns hinsetzen und eine rauchen, und als wir am Säuglingszimmer vorbeikommen, wirft sie keinen einzigen Blick hinein, sie geht an den aufgereihten Babybetten ohne jede Neugier vorbei, ohne jedes Schuldgefühl, als wäre es nicht ihr Kind, das dort strampelt und sich nach ihrer Milch sehnt, nach ihrer Liebe, und als wir uns setzen, kann ich mich nicht mehr beherrschen, Etale, meinst du nicht, daß du trotzdem einen Entzug versuchen solltest, schau nur, was für einen Preis du bezahlst, wir könnten dir helfen, meinst du nicht?
Laß mich in Frieden, Na’ama, zischt sie mich an, ich habe nicht vor, aufzuhören, mich interessiert nichts außer dem Stoff, ich lebe nur für ihn, er ist mein Baby, nur er macht mich glücklich, und plötzlich stößt sie ein häßliches Nikotingelächter aus, ich bin schon vergeben, verstehst du, ich bin die Mutter des Rauschgifts. Ihr Lachen bewegt die Falten ihres leeren Bauchs unter dem Morgenrock und verfolgt mich, als ich mich von ihr verabschiede, ich warte auf den Aufzug und schaue zu ihr hinüber, erstaunt, fast neidisch, wie sie ein mageres Bein über das andere magere Bein legt und grauen Rauch vor dem Bild des Kindes aufsteigen läßt, das sie morgen verläßt, vielleicht hat sie recht, morgen wird sie
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