Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
aufgehört, deshalb hole ich dich ab, vielleicht essen wir was im Einkaufszentrum, wir könnten dir auch ein Kleid kaufen, du kannst nicht immer in diesen Lumpen herumlaufen. Aber sie läßt sich von meiner Fröhlichkeit nicht anstecken, hartnäckig fragt sie, ist was passiert, warum hast du früher aufgehört? Ihr Blick ist ungläubig, und ich beeile mich mit der Antwort, nein, es ist nichts passiert, Annat ist mit den Mädchen im Auto weggefahren, um Babys anzuschauen, und ich war überflüssig. Sie setzt sich neben mich ins Auto, und ich kann mich nicht beherrschen und frage, wer war das, und sie sagt, Rami, unser Geschichtslehrer, ich habe dir doch von ihm erzählt, und ich nicke, sie hat ganz nebenbei von ihm erzählt und ich habe nicht zugehört, es ist so schwer, immer zuzuhören. Er ist so jung, sage ich erstaunt, er sieht fast so jung aus wie du, was hat er von dir gewollt? Sie wehrt unbehaglich ab, nichts Besonderes, aber ich bleibe stur, Nogi, ich habe doch seine energischen Handbewegungen gesehen, jetzt bin ich dran, ihr nicht zu glauben, und ich frage, was war es denn, was er dir so begeistert erzählen mußte?
Nichts Besonderes, zischt sie wütend, er hat das Gefühl, als würde ich mich nicht wirklich für den Stoff interessieren, deshalb hat er versucht, mich dafür zu begeistern, so als hätte alles, was wir lernen, mit unserem Leben zu tun. Ja, und wie meint er das, frage ich und erinnere mich an Udis Vortrag, den er mir über dem weißlichen Badeschaum gehalten hat, sie weicht mir aus, keine Ahnung, sagt sie, ich habe kein Wort von dem verstanden, was er gesagt hat. Ich betrachte sie zweifelnd, wir glauben einander nicht wirklich, ich hoffe nur, daß sie sich nicht plötzlich in diesen jungenhaften Geschichtslehrer verliebt, bei ihrem Bedürfnis nach einem Vater kann alles passieren. Nun, was willst du essen, frage ich, und sie sagt, ich habe keinen Hunger, ich möchte nach Hause gehen, und ich werde nervös, aber ich habe Hunger, ich bin auch ein Mensch, und das Ende meines Satzes klingt schon nach Jammern, ich bin in die Falle getappt, überflüssigerweise, Sohara hat recht, warum soll man es vor ihr verbergen, sie merkt ja, daß etwas vorgeht, aber mir ist klar, daß ich jetzt nicht mehr nachgeben darf, ich trete aufs Gas, schiele heimlich zu ihr hinüber, sie hält den Kopf gesenkt, ihre Lippen schieben sich vor, als müsse sie sich gleich erbrechen, aber ich lasse nicht locker, ich parke vor dem Einkaufszentrum.
Früher ist sie gern mit mir hierhergekommen und hat versucht, kleine Geschenke aus mir herauszuschlagen, was ist plötzlich mit ihr los, sie ist doch noch nicht in der Pubertät, ich versuche, den Arm um sie zu legen, aber sie weicht mir aus, was ist mit dir, Nogi? Nichts, antwortet sie, ich bin müde, ich möchte nach Hause, aber ich ziehe sie hartnäckig durch die Masse der Menschen, die vor der Hitze hierhergeflohen sind, und gebe ihr die Hand, damit sie mir nicht verlorengeht. Vor dem Imbiß warten hoffnungslos lange Schlangen, nur in der Pizzeria an der Ecke gibt es noch Platz, erschöpft lasse ich mich auf einen Plastikstuhl fallen und ziehe einen für Noga näher, dann kaue ich auf einer harten, lauwarmen Pizza herum, also deshalb gibt es hier keine Schlangen, nichts ist zufällig, auch nicht Nogas feindseliges Schweigen. Nun, was war heute in der Schule, frage ich, und sie antwortet mechanisch, alles in Ordnung, und ich frage stur weiter, was machst du in den Pausen? Sie senkt den Blick, trinkt Cola aus der Flasche, nichts Besonderes, ich gehe hinunter auf den Hof oder ich bleibe in der Klasse. Ich habe Schira und Meiraw gesehen, sage ich, und sie, mit dumpfer Stimme, na und, was ist mit ihnen? Ihr wart mal zu dritt, sage ich leise, erinnerst du dich noch, ihr wart unzertrennlich, warum hat das aufgehört? Sie zuckt mit den Schultern, versucht, gleichgültig auszusehen, ich erinnere mich nicht mehr daran, sagt sie, ich hatte genug von ihnen, sie interessieren mich nicht mehr. Ich höre es ja gerne, daß sie es war, die die Entscheidung getroffen hat, aber so ganz kann ich ihr nicht glauben, ich frage, habt ihr euch gestritten oder ist es ganz allmählich passiert? Ich weiß es nicht mehr, sagt sie und senkt den Blick unter den dichten, wilden Augenbrauen, und ich frage weiter, hast du andere Freundinnen, ja, die eine oder andere, antwortet sie, und ich weiß nicht, ob sie mich oder sich selbst belügt, doch ein plötzliches Gefühl der Traurigkeit bringt mich zum Schweigen,
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