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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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versuche mir Noga vorzustellen, wie sie gelähmt im Bett liegt, geschlagen von einer geheimnisvollen Krankheit. Nein, es ist nicht Erbarmen, das in mir aufsteigt, sondern Angst, große Angst, und schon schaue ich auf die Uhr, heute kommt sie früher nach Hause, es ist besser, wenn sie Udi nicht so sieht, weil sie dann sofort kapiert, daß wieder etwas schiefgegangen ist, sie war heute morgen so erleichtert, als sie sah, daß unser verhaßter Alltag zurückgekehrt war, ich muß sie erwischen, bevor sie in die Wohnung kommt, ich kann einen kleinen Spaziergang mit ihr machen, und plötzlich flackert Zweifel in mir auf, wie die Sonne, die im Winter zwischen Wolken aufblitzt und die Landschaft abwechselnd verdunkelt und erhellt, genau so taucht der Zweifel in mir auf und ändert meine Farben, und ich betrachte mißtrauisch die Säckchen, die sie in den Händen hält, sehe, wie sie braune Kügelchen herausnimmt, wie Kotkugeln von winzigen Lebewesen, der Dalai Lama hat diese Kügelchen gesegnet, erzählt sie, und Udi betrachtet sie neugierig. Ich wende ihnen den Rücken zu und gehe ins andere Zimmer, um mich anzuziehen, ich höre, wie sie sich leise unterhalten, die Gegenkraft ist groß, warnt sie ihn, das heißt, daß du bald einen Feind treffen wirst, oder es gibt bereits einen Feind in deinem Leben, und er sagt, Feinde gibt es immer, das Problem ist nur, sie zu erkennen, denn nur durch einen Blick zurück kann man sehen, wer das Königreich Juda wirklich bedroht, in Babylon oder in Ägypten.
    Ich werde Noga von der Schule abholen und mit ihr etwas essen gehen, ich will nicht, daß sie dich jetzt hier sieht, mit deiner Heilerin, und gleich anfängt, sich Sorgen zu machen, sage ich zu ihm, und er schaut mich mit gerunzelter Stirn an und weicht zurück, als wäre ich der Feind, und Sohara sagt, ich kann gehen, wenn du willst, obwohl ich nicht glaube, daß man dauernd alles vor ihr geheimhalten sollte. Jetzt hat sie mir also den Stich zurückgegeben, von dem ich gedacht habe, sie würde ihn gar nicht spüren, und ich sage, das ist nicht dauernd, ich möchte sie nur nicht beunruhigen, auch das ist eine Art Erbarmen, oder nicht?
    In Gruppen kommen sie durch das Tor, in Wellen, sogar durch das geschlossene Autofenster höre ich ihren Lärm, da und dort erkenne ich die bekannten Gesichter von Kindern, die früher einmal, es mag ein oder zwei Jahre hersein, bei uns ein- und ausgegangen sind, sie haben mit Noga vor dem Fernseher gehockt, sind ab und zu herausgekommen, um etwas zu trinken, und haben Spuren von klebrigem Himbeersaft hinterlassen. Ich betrachte sie und habe Lust, sie anzuhalten und zu fragen, warum kommt ihr nicht mehr, warum meidet ihr sie, kehrt zu uns zurück, ich werde euch ganze Tabletts voller Himbeersaft ins Zimmer bringen, Cola, Limonade, was ihr wollt, Hauptsache, ihr kommt wieder. Sie erkennen mich nicht, sie sind wie versunken in ihre eigene glitzernde Welt, auch wenn ich ausgestreckt am Straßenrand läge, würden sie mich nicht bemerken, und schon werden es weniger, da sind Schira und Meiraw, die Unzertrennlichen, in fast den gleichen kurzen Kleidern, aber wo ist Noga, warum fehlt ausgerechnet sie? Vielleicht ist sie vor allen anderen herausgekommen und ich habe sie verpaßt, und schon will ich wenden und nach Hause zurückfahren, als ich sie von weitem sehe, was für eine Erleichterung, fast Glück, sie ist nicht allein, sie spricht mit jemandem, es gibt einen Menschen, der sich für das interessiert, was sie zu sagen hat, die Gestalt ist ein bißchen größer als sie, mit einer runden Brille und dünnen Haaren, wer ist das überhaupt, er sieht nicht aus wie ein Kind, es ist ein Erwachsener, mit wem geht sie da? Er spricht und spricht, bewegt leidenschaftlich die Hände, und sie schweigt mit gesenkten Augen, nicht weit von mir bleiben sie stehen, ich sehe, wie sie ihm zum Abschied zulächelt und dann weitergeht, und er steigt in ein Auto, ich schaue ihr nach, dann schüttle ich mich, drehe das Fenster herunter und schreie, Nogi.
    Der Ranzen hüpft auf ihrem Rücken, als sie sich zu mir umdreht, Mama, ruft sie erstaunt, was machst du hier, bist du nicht bei der Arbeit? Die gleiche Frage habe ich Udi vor ein paar Stunden gestellt, wir haben heute offenbar eine ganze Reihe von Überraschungen füreinander bereit, er hat mich überrascht, ich überrasche sie, so ist das in einer Familie, alles, was passiert, führt zu Kettenreaktionen, und ich antworte mit gespielter Fröhlichkeit, ich habe heute früher

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