Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll, am liebsten würde ich weinen, ich möchte den Kopf auf den Tisch legen und mich unerlaubt den Tränen hingeben. Was ist das alles gegen wirkliche Sorgen, nichts, es ist nur meine Nogi, meine einzige Tochter, die gelangweilt auf einer Pizza herumkaut, ihr Gesicht milchig und weich, ein paar neue Sommersprossen sind auf ihrer Stupsnase aufgetaucht, die blonden Locken umgeben ihren Kopf wie ein Heiligenschein, Nogi, die mir nichts zu sagen hat, die ihre Einsamkeit vor mir verbirgt, die mir nicht erlaubt, ihr näherzukommen, als hätte ich eine ansteckende Krankheit oder sie. Früher waren wir uns so nah, sie wollte aussehen wie ich, sprechen wie ich, sich anziehen wie ich, sie war mein kleines Double, wir sind Hand in Hand gegangen, hier, in diesem Einkaufszentrum, wir haben vor den Schaufenstern gestanden, und sie hat ausgesucht, was ich anprobieren sollte, manchmal habe ich sie alle drei mitgenommen, sie und Schira und Meiraw, es hat mir Spaß gemacht, für sie Geld auszugeben, ihnen Sticker zu kaufen, Haarbänder, Eis, ich habe es genossen, wenn sie vor Vergnügen gestrahlt haben.
Doch plötzlich überfällt uns das Heulen einer Sirene, es ist so nah, als rase ein Krankenwagen direkt durch das Einkaufszentrum und würde die Läden zerstören und die Menschen überfahren. Ich springe auf, um Schutz zu suchen, aber da entfernt sich das Heulen auch schon wieder und wird kurz darauf vom Lärm der Schnellstraße verschluckt. Noga schaut mich an, es stimmt doch, daß ich mal im Krankenhaus war, als ich klein war, oder? Und ich sage betont gelassen, ja, das ist lange her, du warst zwei, erinnerst du dich überhaupt daran? Ich erinnere mich ganz dunkel an etwas, sagt sie, ihr habt mir auf dem Rasen ein Eis gekauft, und ich habe es dann ausgekotzt. Ja, das ist möglich, sage ich mit einem angestrengten Lächeln, obwohl ich mich genau an jenen Tag erinnere, an jede Einzelheit, und sie fragt, was hatte ich eigentlich, und ich stottere, nichts Ernstes, nur so, und sie beharrt, warum habt ihr mich dann ins Krankenhaus gebracht, wenn es nichts Ernstes war? Ich brauche eine Ausrede und sage schnell, weil es am Anfang ernst ausgesehen hat, erst hat man gedacht, es sei eine Gehirnhautentzündung, aber dann hat sich herausgestellt, daß es nur ein Virus war, und sie schaut mich enttäuscht an, komm, gehen wir heim, ich habe einen Haufen Hausaufgaben für Geschichte auf.
Noga, warte einen Moment, rufe ich dem Rücken nach, der sich mir bereits zugewandt hat, Noga, komm, ich würde dir gerne ein Kleid kaufen, und sie sagt böse, ich hasse Kleider, aber ich betrete schon ein Geschäft und fange an, zwischen den Kleiderbügeln zu suchen, nur probieren, sage ich, was macht es dir aus, ich fände es schön, wenn du so aussehen würdest wie die anderen. Hier, ich ziehe ein blaues Kleid mit gelben Chrysanthemen hervor, das würde gut zu deiner Augenfarbe passen, du mußt es unbedingt anprobieren, und sie sagt, es sieht haargenau aus wie deins. Dann laß uns doch Zwillinge sein, dränge ich, früher hat es dir gefallen, so auszusehen wie ich, und sie verzieht das Gesicht, kommt aber mit schweren Schritten näher, nimmt mir gleichgültig das Kleid aus der Hand und verschwindet in einer Umkleidekabine, ich schaue ihr nach, früher habe ich sie in die Kabine begleitet und ihr beim Ausziehen geholfen, aber das wage ich jetzt nicht, sie macht mir angst. Da geht die Kabinentür auf, und ich betrachte sie mitleidig, das Kleid steht ihr nicht, warum habe ich sie überhaupt gezwungen, es anzuprobieren, ihre Beine sind zu dick, ihre Schultern hängen, sie sieht einfach anders aus als Schira und Meiraw, es reicht nicht, daß man ihr ein Kleid überzieht und hofft, sie würde so aussehen wie die beiden.
Wie sehe ich aus, fragt sie begeistert, plötzlich hat sie Lust zu gefallen, und ich beeile mich zu sagen, du siehst toll aus, aber sie stellt sich vor den Spiegel, ich sehe ekelhaft aus, ich bin dick und häßlich, damit flieht sie in die Umkleidekabine. Eine Verkäuferin kommt zu mir, das Kleid steht ihr besonders gut, sagt sie, und ich betrachte sie entsetzt, wie weit ist es mit mir gekommen, so wie ich ihr kein Wort glaube, glaubt auch Noga mir nichts, ich lüge wie eine Verkäuferin in einem Modegeschäft, und als Noga mißmutig aus der Kabine kommt, den Körper unter Udis viel zu großem T-Shirt versteckt, sage ich, das Kleid hat dir wirklich nicht gestanden, und sie platzt heraus, nichts steht mir, ich
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