Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Düsternis das düstere Flügelschlagen um mich herum noch verstärkt, Papa?
Es ist nicht Papa, sage ich und laufe zurück zu ihrem Zimmer, in dem mir der Dunst einer schweren Krankheit entgegenschlägt, aber sie sitzt im Bett und deutet mit einem verzerrten Lächeln auf die Tür, ihre Augen sind rund und stumpf wie die Augen einer Puppe, Papa ist zurückgekommen, ruft sie und legt sich sofort wieder hin, als habe sie ihre eigene Stimme erschreckt, sie legt ihren Kopf auf das Kissen, atmet schwer und döst gleich wieder ein. War ein Arzt da, fragt meine Mutter mit ernster Stimme, und ich sage, nein, nicht wirklich, und sie schreit, was versuchst du zu beweisen, warum hast du keinen Arzt gerufen, willst du, daß ihr Zustand sich verschlimmert, nur damit du zeigen kannst, daß er auch ein Mörder ist? Du sollst mir keine Moralpredigt halten, schreie ich, ich brauche deine Hilfe, du hast doch gesagt, daß du gekommen bist, um mir zu helfen, und erst dann fällt es mir ein zu fragen, woher weißt du es überhaupt?
Udi hat mich angerufen, sagt sie mit einem Hauch von Stolz in der Stimme, und ich frage gespannt, von wo aus hat er angerufen, und sie antwortet, er hat gesagt, er wäre im Süden, in der Arava, glaube ich, er hat mich gebeten, mich um euch zu kümmern, und ich hebe wieder meine Stimme, er hat gewußt, daß Noga krank ist, hat er darüber etwas gesagt? Sie zuckt mit den Schultern, keine Ahnung, ich habe ihn kaum verstanden, aber ich betrachte sie zweifelnd, mir scheint, sie weiß mehr, als sie zugibt, und ich stehe vor ihr, begierig nach jedem bißchen Wissen.
Ich stolpere ihr nach in die Küche, starre die Fliesen an, nur nicht sie anschauen, schon seit Jahren weichen meine Blicke ihr aus, ignorieren, wenn sie mich ansieht, es gibt so viel, was man verbergen muß, den unendlichen Zorn auf sie und die Schadenfreude, die Trauer über ihre Schönheit und die Trauer über ihr Leben, die Angst, so zu sein wie sie, und die Angst, so zu sein wie er, wie mein Vater, und mir scheint, in dieser Nacht ist endlich die Entscheidung gefallen, das Pendel über meinem Kopf hat ausgeschlagen, ich bin wie er, auf der Seite derer, die verlassen werden, auf der Seite derer, die Schläge einstecken müssen, nicht auf der Seite der anderen, ich gehöre zu den Verlierern, nicht zu denen, die gefährlich werden können, hier ist mein Platz, an den muß ich mich gewöhnen. Anfangs sah alles anders aus, Udi hat immer meine Gene verleumdet, du bist genauso treulos wie deine Mutter, hat er mich angeschrien, am Schluß wirst du mich wegwerfen, so wie sie deinen Vater weggeworfen hat. In jahrelanger Anstrengung versuchte ich ihm zu beweisen, daß ich nicht so bin, daß ich treu bin, und jetzt ist die Wahrheit ans Licht gekommen, er, der immer über jeden Verdacht Erhabene, hat sich als treulos erwiesen und ich habe gesiegt, aber eigentlich habe ich verloren, ich muß mich vor ihr schämen, daß ich so besiegt worden bin, meine Minderwertigkeit ihr gegenüber ist auffallend, sie ist die schöne Frau, die Herzensbrecherin, und ich bin die Tochter mit dem gebrochenen Herzen, ich kann die Schande nicht mehr länger verstecken, ich lege meinen Kopf auf den Küchentisch, ich schäme mich so sehr, Mutter, bestimmt findest du mich jetzt so armselig wie Papa, und sie sagt mit weicher Stimme, da irrst du dich aber sehr, No’am, ich bin fast neidisch auf dich, es ist besser, auf der Seite der Verlassenen zu stehen, ich hebe überrascht den Kopf, alte Brotkrümel kleben an meiner feuchten Wange, du redest Unsinn, Mama, sage ich, ich wünschte, ich wäre es gewesen, die ihn verlassen hat, es tut mir um jeden Tag leid, den ich bei ihm geblieben bin, wie konnte ich ihm erlauben, für mich zu entscheiden, das ist es doch, was den Unterschied ausmacht, und sie sagt, manchmal ist es viel einfacher, wenn ein anderer für dich entscheidet, und ich widerspreche, wieso denn, du weißt nicht, was du da sagst.
Glaub mir, Na’ama, fährt sie eindringlich fort, derjenige, für den entschieden wird, erholt sich viel schneller als derjenige, der die Entscheidung trifft, du wirst schnell darüber hinwegkommen und dir ein besseres Leben erlauben, aber er wird mit der Verantwortung sitzenbleiben, mit Schuldgefühlen, mit Zweifeln, er weiß noch nicht, was ihn erwartet, du wirst schon sehen, daß du viel eher wieder zu Kräften kommst als er, aber mir kommt ihre Prophezeiung unwirklich vor, ich habe ihn doch gesehen, ich habe ihn gehört, er ist stark und
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