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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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entgegenknarrt, ihr geschmückter Wipfel berührt fast die Hauswand, ihre Zweige strecken sich mir im Wind entgegen, für einen Moment sieht es aus, als würden sie Knospen treiben, die weiß wie Jasmin die trockenen Zweige schmücken, innerhalb weniger Stunden scheint sich die Zypresse in einen Mandelbaum verwandelt zu haben, glitzernd wie ein Weihnachtsbaum, ich bin verzaubert von dem Anblick, der zu neuem Leben erwachte Baum, auch wenn es nur ein vorübergehendes Leben ist, ein vorgetäuschtes, weckt in mir eine dumpfe, vergessene Lust, nicht die auf einen Mann, sondern Lust auf das Leben selbst, ich betrachte den Flug der glänzenden Flocken, wie Betrunkene taumeln sie um den Baum herum, manche werden von den Zweigen gefangen, andere sinken zu Boden, sie bringen mir einen geheimen Gruß vom Himmel, und diese weiße Schönheit klopft an mein Fenster, sie verlangt nichts von mir und ich verlange nichts von ihr. Ja, warum soll ich nicht auch für ein paar Stunden blühen, und plötzlich steigt in mir die Freude eines früher erlebten Vergnügens auf, eines Vergnügens, das von niemandem abhängt, stark und wuchtig und erschreckend in seinem Egoismus, und ich kichere am Fenster wie ein aufgeregtes junges Mädchen, das sich immer wieder an die Worte der ersten Liebe erinnert, an die Schönheit jenes Augenblicks, an dem sie zum ersten Mal verstanden hat, dass es eine Antwort auf ihre Sehnsucht gibt, und ich klammere mich an das weit geöffnete Fenster, schlucke die dichte, übervolle Luft, Sterne fallen auf meinen Kopf, Unmengen von Sternen, und da nehme ich von der Kommode das Geschenk, das auf mich wartet, das Tablettenröhrchen, in Goldpapier gewickelt und mit einem roten Band verschnürt, und werfe es in die Arme der Zypresse, wie den Blumenstrauß, den die Braut in die Menge wirft, bevor sie ihren neuen Weg antritt, ich werfe mein kostbares Geschenk dem Baum zu, der nach seinem Tod zu blühen beginnt, ein Geschenk gegen ein anderes.
    Vor Jahren kaufte er mir einen weißen Pullover, und ich schenkte ihm dafür ein krummes Lächeln, wieso denn weiß, ich bin zu blass für weiß, aber jetzt, nachdem ich lange heiß geduscht habe, suche ich den Pullover im Schrank, hülle mich, wie um mich zu tarnen, in die Farbe des Schnees, schminke mir die Lippen mit einem kräftigen Rot, öffne die vom Waschen glänzenden Haare, ich habe gar nicht gemerkt, wie sie in den letzten Monaten gewachsen sind, sie reichen mir fast bis zu den Hüften, und gehe in die blasse Stadt, hinein in die Schönheit dieses Wunders, das nur wenige Tage dauern wird, wie in die Schönheit einer neuen Liebe. Meine Schritte ziehen Spuren in den noch weichen Untergrund, und wenn ich mich umschaue, überrascht es mich zu sehen, wie schnell die Spuren wieder verschwinden, sich mit neuem Weiß bedecken, und ich gehe weiter, an einer jungen Mutter vorbei, die ein quengelndes Kind hinter sich herzieht, mir ist kalt, weint der Kleine, meine Finger sind erfroren, und sie zieht ihn weiter, natürlich ist dir kalt, ich habe dir ja gesagt, du sollst Handschuhe anziehen, warum hast du das nicht gemacht, ihr verärgerter Blick streift mich, und es scheint mir, als sei sie neidisch auf mich, weil ich so frei bin, ich konzentriere mich auf meine Freude, ja, das ist erlaubt, das ist sogar möglich, Gili freut sich dort und ich freue mich hier, weiße Flammen lodern zwischen ihm und mir, wie Leuchtfeuer über Berggipfeln.
    Als ich ihr Haus erreiche, mit wilden Haaren und erhitzt vom langen Gehen, hat das Essen schon seinen Höhepunkt erreicht, der üppige Fleischduft eines Tscholents, der schon die ganze Nacht auf dem Herd geköchelt hat, empfängt mich, der Geruch von Wein und Parfum, von Schweiß und Zigarettenrauch schlägt mir in der geheizten Wohnung entgegen, Dina steht auf und begrüßt mich, sie trägt einen schwarzen Pullover, so lang wie ein Kleid, ihre braunen Augen mustern mich überrascht, die Äderchen auf ihren Wangen sehen aus wie Blattadern, sie umarmt mich, wie schön du aussiehst, und sofort flüstert sie mir entschuldigend ins Ohr, er ist noch nicht da, er müsste jeden Augenblick kommen, und es fällt mir schwer zu verstehen, was sie meint, lass mich, sage ich, das habe ich schon vergessen, schließlich geht es mir viel besser so, wenn ich einfach zwischen Fremden sitze und niemanden beeindrucken muss.
    Du wirst es nicht glauben, sie tun Pesto in den Tscholent, sagt jemand ernst zu Dina, ein nicht mehr junger Mann mit einem Bauch, der an die

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