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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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die angespannte Stille zwischen uns erinnerte mich an die Tage nach dem Tod meines Bruders, nein, nicht Tage, Wochen, Monate, mindestens ein Jahr war es, in dem sie kaum miteinander sprachen, sich gegenseitig feindlich betrachteten, als sei der andere ein Mörder. Anfangs versuchte mein Vater, sie zu besänftigen, aber er gab schon bald auf, wie immer, sein Docht war so kurz, und als er aufgab, verdoppelte sich die Feindschaft, vielleicht erschreckte sie das, aber sie konnte es nicht ändern, und so, ohne Worte, versank alles in feindlichem Schweigen, und ab und zu erwähnten sie Vergessenes, alle möglichen alten Beschuldigungen, die sie sich auf teuflische Art zuzischten, vor allem ging es gegen ihn, immer wieder, warum er sein Medizinstudium aufgegeben und sich mit armseliger Laborarbeit begnügt hatte, denn wenn er weitergemacht hätte, hätte er das Baby retten können, hätte er uns alle retten können, immer wieder fing sie damit an, und er floh vor diesen Worten, das Baby retten, machte die Tür hinter sich zu und fing an zu rennen, lief stundenlang in den Orangenplantagen herum. Sogar ihr Aussehen änderte sich damals, mein Vater aß kaum etwas, er wurde beängstigend dünn wie ein Gerippe, mit glühenden Augen in dem gequälten Gesicht, während sie dick wurde und fraß wie ein Schwein, sie schleppte tütenweise Zeug aus dem Supermarkt an, und einmal sah ich, wie sie über rohes Hackfleisch herfiel, während sie Frikadellen briet, schob sie sich die weiche Masse in den Mund, und ich sagte, Mama, das ist roh, und sie sagte, in meinem Magen wird es gar, schau nur, wie warm mein Bauch ist. Und seine Bemerkungen, die er im allgemeinen über mich weitergab, waren schrecklich, so sagte er manchmal, sie hat das Gefühl, daß sie wegen der Milch viel essen muß, aber niemand braucht mehr ihre Milch, oder sie bildet sich ein, sie ist schwanger, wenn sie dicker wird und riesige Kleider trägt, und dann sagte sie, von wem sollte ich schwanger werden? Von ihm? Im Leben nicht, sein Samen ist verfault. Ich protestierte, aber Mama, ich bin auch von seinem Samen, und dann lächelte sie bitter und scheußlich und sagte nichts, legte sich eine dick gewordene Hand auf ihre kurzen stoppeligen Haare, da, wo der Zopf abgeschnitten worden war, als wäre das ihre Rache an ihm, eine schreckliche Amputation ihrer Schönheit.
    Ich lief dann in mein Zimmer und ging ins Bett, umarmte unter der Decke das einzige Spielzeug von ihm, das ich gerettet hatte, all seine Spielsachen und seine Kleider hatten sie in sein weißes Gitterbett gestopft und aus dem Haus gebracht, nur ein kleines Lamm hatte ich mir gestohlen, ein weiches, wolliges Lamm, und jahrelang umarmte ich es heimlich und versteckte es an allen möglichen Plätzen, damit meine Mutter es nicht fand und wegwarf, und jeden Tag wenn ich aus der Schule kam, lief ich als erstes in mein Zimmer und schaute nach, ob das Lamm noch an seinem Platz lag, und wenn ich von Freundinnen nach Hause eingeladen wurde, lehnte ich die Einladung oft ab, weil ich Angst hatte, es zu lange ohne Aufsicht zu lassen, und nach Jahren, als ich zur Armee kam, nahm ich es mit mir, wenn ich Dienst hatte, und dort, bei der Armee, ging es mir verloren, vermutlich hat man es mir gestohlen, und ich erinnere mich noch, daß ich weniger traurig über den Verlust war, als ich erwartet hatte, vielleicht war ich sogar froh darüber.
    Wußtest du etwas über das Baby, fragte ich Arie, in dem Versuch, seiner Niedergeschlagenheit meine eigene entgegenzusetzen, und er zögerte einen Moment und sagte, natürlich wußte ich davon, ich war damals zu Besuch in Israel, ich wollte einen Beileidsbesuch machen, aber deine Eltern wollten niemanden sehen. Ich wollte wirklich kommen, fügte er hinzu, als hätte ich das bezweifelt, sie haben mir so leid getan, nach all den Jahren, die sie sich bemüht hatten, noch ein Kind zu bekommen, er sprach den Satz nicht zu Ende, aber mit dem Geschirr wurde er fertig und betrachtete zufrieden das saubere Spülbecken. Jetzt gehe ich duschen, sagte er, und dann fahren wir, ich setze dich unterwegs ab, er sprach weich, als dämpfe unser Unglück das Unglück mit dem ausgefallenen Essen, als sei er nicht mehr böse auf mich, und ich folgte ihm ins Schlafzimmer und schaute zu, wie er den Pullover und die Hose auszog und in einer roten Unterhose und einem langen weinroten Unterhemd dastand, ich mußte wirklich lachen, als ich das sah, als habe er mir einen Witz erzählt, seine Unterwäsche war so

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