Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Joséphine heute abend aus Frankreich kommen würden, ihre Schwester und ihr Schwager, und sogar ihre alte Mutter hätte sich angeschlossen, bald würden sie auf dem Flughafen landen und er werde sie dort abholen und bis dahin müsse das Essen fertig sein. Er betonte die Sache mit dem Essen, als würden sie nur dafür nach Israel kommen, und ich fragte naiv, warum kommen sie, und ich sah im Spiegel, wie er für einen Moment innehielt, vor dem offenen Kühlschrank, als fände sich dort, in ihm, die Antwort, und dann sagte er, um Abschied zu nehmen von Joséphine, und das klang traurig und süß wie ein Filmtitel, Abschied von Joséphine, oder vielleicht Joséphine nimmt Abschied, oder Joséphine steigt auf zum Himmel, leicht wie eine Federwolke. Statt einer jungen Tochter hat sie eine alte Mutter, dachte ich, alles seinetwegen, was hat sie nur an ihm gefunden, das ihr wichtiger erschien als Kinder, als alles andere, denn sogar jetzt, in ihrem Zustand, bereut sie nichts, und bestimmt weint ihre alte Mutter im Flugzeug und sagt, warum läßt man mich nicht an ihrer Stelle sterben. Ich versuchte mir meine Mutter vorzustellen, wenn ich vor ihr sterben würde, wären meine Eltern doppelt verwaiste Eltern, falls es so etwas gab. Von ganz allein würde ihre Trauer um mich in der Trauer um meinen kleinen Bruder aufgehen und zu einer allgemeinen Trauer werden, denn wenn die Trauer über den Tod eines Kindes unendlich ist, wie kann man sie dann verdoppeln, eine unendliche Trauer, und noch eine unendliche Trauer ist eigentlich eine einzige unendliche Trauer.
Mir kamen schon die Tränen vor lauter Mitleid mit mir selbst, weil ich sogar nach meinem Tod benachteiligt sein würde, und um das zu verbergen, sagte ich, das tut weh, und meinte meine Nase, aber er bezog es auf den anstehenden Besuch und sagte, ja, ihre Mutter ist wirklich ganz am Ende, als wäre es klar, daß Eltern ihr Kind mehr lieben, als ein Partner es tut, denn er sah überhaupt nicht am Ende aus und versuchte auch gar nicht, den Anschein zu erwecken, und ich fragte, kann ich dir beim Essenmachen helfen, und zu meiner Überraschung sagte er, ja.
Schnell, bevor es ihm leid tun konnte, ging ich zu ihm, und es ergab sich, daß wir beide vor dem Spülbecken standen, nebeneinander, wie bei einer Hochzeitszeremonie, und das Becken war der Rabbiner, der uns traute, und in der Spüle war ein Haufen Geschirr, und Arie sagte, vielleicht fangen wir damit an, er holte aus einer der Tüten Spülmittel und hielt es mir hin, und ich hielt die große Flasche, eine Familienpackung, wie diese Frau ihr Baby gehalten hatte, und bei dem Gedanken an sie packte mich wieder Unruhe, und ich fragte, sag mal, deine Nachbarin von gegenüber, hat die einen Mann? Und er sagte, sie hat ein Baby, das ist sicher, ich höre es die ganze Nacht schreien, ihr Mann ist offenbar ruhiger.
Aber bist du sicher, daß sie einen hat, fragte ich, hast du ihn mal gesehen? Wie sieht er aus? Und er sagte, ich habe ihn so oft gesehen, daß ich überhaupt nicht auf ihn geachtet habe. Erinnerst du dich, ob er groß oder klein ist, dick oder dünn, fragte ich, und er sagte, er ist normal, ich glaube, er ist normal. Warum interessierst du dich für ihn? Und ich flüsterte beschämt, weil ihr Baby Joni ähnlich sieht.
Wer ist Joni? Er stellte die Frage ohne Neugier, und ich sagte, mein Mann.
Wirklich? Er klang amüsiert, wie sieht dein Mann aus?
Wie ein Schaf, sagte ich, und mir fiel ein, daß ich ein Foto von ihm in der Tasche hatte, und ich holte schnell die Tasche und wühlte mit einer Hand darin herum, mit der anderen hielt ich das Spülmittel, schließlich fand ich das schon ein wenig zerknitterte Bild, auf dem Joni zu sehen ist, wie er mich bei der Hochzeit auf die Stirn küßt, ich mit dem Schleier über den Schultern und er bemüht, größer zu erscheinen, wir sind ungefähr gleich groß, damit er mich küssen kann, und ich neige den Kopf, um es ihm leichter zu machen, so viel Anstrengung für einen überflüssigen Kuß, beide sehen wir krumm aus vor Anstrengung, und ich schämte mich, Arie das Bild zu zeigen, aber ich mußte die Sache unbedingt klären, deshalb hielt ich es ihm mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck hin, und er betrachtete es gleichgültig und sagte nichts, und ich fragte gespannt, ist er das? Und Arie hatte offenbar vergessen, um was es ging, und sagte, du fragst mich, ob das dein Mann ist? Und ich sagte gereizt, wie ein Lehrer, der aus einem schwerfälligen Schüler die richtige
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