Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Art, etwas zu erfahren, allein, denn fragen konnte ich nicht, und ich hatte auch keine Aussicht, eine Antwort zu bekommen, so wie ich nie erfahren würde, wer von diesen Tellern gegessen und wer aus den Gläsern getrunken hatte, die vorhin im Spülbecken gestanden hatten.
Der Raum füllte sich mit dem Duft von After-shave, und er stand vor mir, gebeugt zwischen den beiden schmalen Betten, parfümiert und zurechtgemacht, ein wenig lächerlich, ein Held aus einer billigen Fernsehserie, der sich stolz und traurig aufmacht, seinen tragischen Auftrag auszuführen, mitleiderregend in seiner Überheblichkeit, in seiner Anstrengung, gesund auszusehen, heil auszusehen, als verfaule nicht langsam ein Teil von ihm und schrumpfe immer mehr zusammen. Gehen wir, ich bin spät dran, sagte er, betrachtete prüfend meine Nase, ein Lächeln unterdrückend, und schritt rasch vor mir durch den Flur, sie werden gleich landen, und ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn wir beide zum Flughafen fahren würden, und dann wurde mir klar, daß es irgendwann wirklich passieren würde, und es war mir schon egal, was Joni mir bald mitteilen würde, ich dachte nur, wie schön es sein würde, wenn er mich jetzt gleich zur Eile antriebe, komm schon, wir sind spät dran, würde er sagen, und das Wir würde auch mich einschließen, und ich würde mit Absicht zögern, würde stundenlang vor dem Spiegel stehen und meine Nase betrachten, nur um ihn sagen zu hören, komm schon, wir sind spät dran.
#
8
Um wieviel Uhr sie gestorben war, wollte ich wissen, aber ausgerechnet das wußte meine Mutter nicht, sie verstand auch nicht, was es überhaupt für eine Rolle spielte. Sie sagte, Tante Tirza habe aus der Klinik angerufen und gesagt, daß Aries Frau gestern nacht gestorben sei. Hättest du gedacht, daß sie dort lag, genau im Bett nebenan? Ja, aber um wieviel Uhr, beharrte ich, ruf sie an und frage sie, um wieviel Uhr. Ich werde sie jetzt nicht mit deinem Blödsinn stören, sagte meine Mutter und schnaufte laut.
Schon immer hatte sie es geliebt, mich morgens mit schlechten Nachrichten zu wecken, alle möglichen Bekannten waren krank geworden oder starben, alle möglichen Familienmitglieder litten an irgendwelchen Schmerzen, das nährte ihre Langeweile, die Langeweile, die der Depression folgte, nach Jahren der Trauer und des Hasses. Natürlich hatte es auch etwas mit Schadenfreude zu tun, und vielleicht auch mit der Hoffnung, den Club der Geschädigten des Lebens erweitern zu können, in den sie nach dem Tod des Kindes eingetreten war und schnell die Tür zugemacht hatte, damit mein Vater sich ja nicht dazwischendrängte und ihr die Katastrophe raubte. Aber mit anderen war sie höflicher, jeder vom Schicksal Geschlagene wurde eingeladen, sich ihr anzuschließen, natürlich je nach Größe seines Unglücks, alle möglichen Frauen, die ihre Ehemänner verloren hatten, ihre Kinder, die Gliedmaßen ihres Körpers eingebüßt hatten, die schlimme Behandlungen zu ertragen hatten, sie alle sammelten sich in ihrer Kehle und wanderten in unseren Telefongesprächen zu mir. Hast du gehört, was der und der passiert ist, und ohne auf eine Antwort zu warten, gab sie die Information weiter. Diesmal war es kurz. Ich wußte nicht mal, daß sie krank war, sagte sie mit der beleidigten Stimme eines Kindes, das nicht zur Geburtstagsfeier eingeladen worden ist, nur dein Vater wußte es, aber er hat es mir nicht gesagt. Erinnerst du dich, daß Arie uns vor ein paar Monaten besucht hat? Er wollte sich mit ihm wegen irgendeiner neuen Behandlung beraten, aber vermutlich war das schon zu spät. Du wirst es nicht glauben, es hat sich herausgestellt, daß sie die ganze Woche im Bett neben Tirza lag, und ich war doch fast jeden Morgen dort und habe sie nicht erkannt, die Idee kam mir gar nicht, daß es Joséphine sein könnte, so sehr hatte sie sich verändert. Sie sah aus wie eine Porzellanpuppe, als sie jung war, ich habe sie wirklich jahrelang nicht gesehen, aber so eine Veränderung, eine zarte, aber starke Porzellanpuppe, fuhr sie mit einer Großzügigkeit fort, die sie nur für Tote reserviert hatte. Ich frage mich, was er jetzt macht, ohne sie, dieses große Kind, sie hat ihn gehalten, das kannst du mir glauben, er kann keine Minute ohne eine Frau leben, die ihn stützt. Du wirst sehen, daß es keine Woche dauert, da ist eine Neue bei ihm, vielleicht wartet er noch nicht mal bis zum Ende der Woche.
Ich beherrschte mich, um nicht zu sagen, du wirst dich wundern,
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