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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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und naß, und ich dachte, vielleicht weint er, aber seine Augen waren trocken, und er nahm ein Küchenhandtuch, das über dem Stuhl hing, und trocknete sich das Gesicht ab, schon immer war ich beeindruckt von der Art, mit der er sich selbst berührte, mit einer männlichen Selbstsicherheit, und ich sah auf einmal vor mir, wie es im Sommer sein würde, er wird auf mir liegen, der Schweiß wird ihm vom Gesicht tropfen wie jetzt das Wasser und warm und salzig auf meine Wangen fallen, und er wird sich mit genau derselben Bewegung abtrocknen. Mit gesenktem Kopf setzte er sich an den Tisch, und ich betrachtete ihn traurig, wer konnte wissen, ob er den Sommer noch erleben würde, und ich trat zu ihm und setzte mich auf seinen Schoß und umarmte ihn, und er rührte sich nicht, stieß mich jedoch auch nicht weg, und meine Nase tat weh, aber das war mir egal, so gut ging es mir auf seinen Knien, als wäre das der richtige Ort für mich, und ich legte den Kopf auf seine Schulter und sagte noch einmal, du mußt aufhören zu rauchen, und fügte hinzu, ich mache mir Sorgen um dich, und er fragte, warum, und ich sagte, weil du Teil meiner Familie bist, und er lachte, warum mußt du jeden in deine Familie einfügen, und ich sagte, du weißt, daß du längst dazugehörst.
    Ich entspannte mich an seiner Schulter, betrachtete das graue Profil aus der Nähe, die etwas platte Nase, wie bei einem Farbigen, und das energische Kinn unter den vollen Lippen, ich wollte ihn sehr, aber nicht unbedingt mit ihm schlafen, sondern mit ihm zusammensein, ich wollte alles wissen, was er in jedem Moment dachte, ich wollte Teil dessen sein, was seine Gedanken beschäftigte, ich wollte, daß er wissen wollte, was ich dachte, und daß die Gedanken, seine und meine, etwas miteinander zu tun haben sollten. Ich wollte ihn schütteln, damit, falls er irgendwo ein Stück Liebe für mich übrig hatte, sagen wir mal im Fingernagel, sich dieses Stück im ganzen Körper verteilte, aber er lächelte sein geheimnisvolles Lächeln in sich hinein, dieses Lächeln, das an sich selbst genug hatte, das ihn entrückte, auch wenn er in der Nähe war, aber dann hörte er auf zu lächeln und sagte verzweifelt, wie soll ich es schaffen, ich werde nicht fertig, aber er stand nicht auf, und ich wollte ihn trösten und sagte, ich helfe dir, wir haben noch Zeit, und er sagte mit einem Blick auf die weiße Wanduhr über dem Marmor, nein, in einer halben Stunde muß ich los, zum Flughafen, ich werde sie in ein Restaurant einladen, es ist zu spät, und ich fühlte mich so schuldig, denn er sagte das nicht leichthin, sondern bedrückt, als wäre diese Programmänderung eine Katastrophe, die zu einer weiteren Katastrophe führen würde, und das alles meinetwegen.
    Er schob mich von seinem Schoß und stand schwerfällig auf und begann alles in den Kühlschrank zurückzuräumen, als vollziehe er eine Trauerzeremonie, den überflüssig gewordenen Salatkopf, die überflüssig gewordenen Fische, die überflüssig gewordenen Pilze, alles, was er so feierlich auf der Marmorplatte ausgebreitet hatte, wie eine Ausstellung guter Absichten, und ich schlug vor, vielleicht mache ich das Essen, laß mich alles vorbereiten, und wenn du zurückkommst, ist alles fertig, aber er schüttelte den Kopf, erwog mein Angebot nicht einmal, und ich fügte schnell hinzu, mach dir keine Sorgen, ich werde nicht mehr dasein, wenn ihr kommt, ich bringe dich nicht in Schwierigkeiten, aber er schüttelte weiter den Kopf und räumte alles weg, und dann stand er mit dem Ausdruck bitterer Ergebenheit vor dem Becken und begann zu spülen, und ich, mit meiner geschwollenen Nase, war plötzlich noch überflüssiger geworden als der Salatkopf, denn der würde morgen noch zu etwas nütze sein und ich nicht, und der Verzicht auf das festliche Essen war wie das schicksalhafte Urteil über eine ohnehin bedauernswerte Familie, die unter so traurigen Bedingungen anreiste, um Abschied zu nehmen, und noch nicht mal in den Genuß tröstlichen Familienessens kam.
    Laß mich wenigstens das Geschirr fertigspülen, bat ich, aber er gab mir keine Antwort und bewegte sich nicht, er blieb stur vor der Spüle stehen, und ich wußte, daß ich jetzt gehen sollte, aber ich wollte im guten weggehen, nicht so, und ich wußte nicht, wie ich die Atmosphäre ändern sollte, deshalb setzte ich mich hin und betrachtete seinen Rücken, seine schnellen Bewegungen, und zählte die abtropfenden Teller, um herauszufinden, ob ihre Zahl auch paarig war, und

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