Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Antwort herausholen will, der Mann deiner Nachbarin, sieht er dem Mann deiner Nachbarin ähnlich?
Und er betrachtete das Bild in aller Ruhe, als hinge nichts von seiner Antwort ab, und seine vollen Lippen verzogen sich, und schließlich sagte er, nein, ich glaube nicht, und fügte hinzu, ich weiß es nicht, ich erinnere mich kaum an ihn. Warum sollte er ihm eigentlich ähnlich sehen? Und ich sah, daß er nicht verstehen wollte, vielleicht hatte ich es auch nicht gut erklärt, denn ich wollte ja fragen, ist das der Mann deiner Nachbarin, und nicht, sieht er dem Mann deiner Nachbarin ähnlich, aber wieso sollte mein Mann auch der Mann seiner Nachbarin sein? Plötzlich kam mir das selbst blöd vor, und ich steckte das Bild wieder in die Tasche, mit einem Gefühl der Erleichterung, das nicht von einer neuen Erkenntnis herrührte, sondern weil meine Angst angesichts der Wirklichkeit keinen Bestand mehr hatte. Mit dem Spülmittel im Arm ging ich zurück zum Becken, und er sagte noch einmal, los, fang damit an, ich kümmere mich ums Essen, und nahm mir das Spülmittel aus der Hand und kippte etwas in eine kleine Schüssel, legte einen neuen Schwamm hinein, den er heute gekauft hatte, einen hellblauen, und wartete darauf, daß ich meine Arbeit anfing, und schließlich fragte er besorgt, du kannst doch spülen, oder?
Ich betrachtete das Becken und brachte keine Antwort heraus, denn mir fiel ein, daß dieses Becken gestern, als ich bei ihm war, leer gewesen war, höchstens ein Eistellerchen hatte darin gestanden und irgendein Glas, und jetzt quoll es förmlich über vor Tellern und Gläsern und großen Schüsseln, als habe er von gestern abend bis jetzt nur gegessen, und zwar nicht allein, denn alle Geschirrteile waren paarweise vorhanden, zwei Weingläser, vier Kaffeetassen, die Spüle wies auf ein üppiges Essen zu zweit hin, mit Lachen und zärtlichen Worten, mit Schmeicheleien und Berührungen, und das alles sollte ich jetzt abspülen, als wäre ich der betrogene Ehemann aus meiner Geschichte, der das Essen servierte und dessen Tränen in die Weingläser fielen, der Mann, wegen dessen Leid der Tempel zerstört worden war, und Arie war die Frau, nur die dritte Figur fehlte mir im Szenario, diejenige, deren Geschirr zu spülen ich mich bereit erklärt hatte, diejenige, die mit ihm hier zusammengesessen hatte, nachdem ich gegangen war, und alles genossen hatte, was ich nur erraten konnte, und ich versuchte, mir das Gesicht der jungen Frau mit der Zigarettenspitze vorzustellen, seiner geheimnisvollen Nichte, die seiner Aussage nach längst nach Frankreich zurückgefahren war, aber mir fielen nur die Sachen ein, die sie damals angehabt hatte, die kurzen Hosen und das Jackett, die sie natürlich längst gegen wärmere Wintersachen eingetauscht hatte, so daß ich also gar nichts von ihr wußte.
Ich tauchte den Schwamm in die Schüssel und begann die großen Teller zu spülen, und ich blickte aus dem Fenster auf einen Zitronenbaum, auf den das Scheinwerferlicht eines Autos fiel, und die Zitronen leuchteten auf wie kleine Monde, und ich dachte, was mache ich eigentlich hier, spüle das Geschirr eines alternden Ehebrechers und seiner Geliebten, statt zu Hause das Geschirr von Joni und mir zu spülen, vor unserem Fenster zu stehen, das von einem Strauch verdeckt wird, Jonis weiche, angenehme und beruhigende Stimme zu hören statt dieses tiefe Husten, mit all den Bazillen, die direkt vom Krankenhaus kommen. Wie ein Tuberkulosekranker fing er an zu husten, und ich spülte betont hingegeben, als hörte ich es nicht, aber aus den Augenwinkeln sah ich ihn näher kommen, leicht schwankend, und seine Hand streckte mir ein Glas entgegen, und er murmelte, Wasser.
Du mußt aufhören zu rauchen, sagte ich, die ausgestreckte Hand mit dem Glas ignorierend, und genoß meine momentane Herrschaft über sein Schicksal. Wasser, wiederholte er, und ich nahm das Glas, füllte es mit lauwarmem Wasser, nicht ohne Seife, und hielt es ihm hin, und das alles tat ich behutsam und konzentriert, und als das Wasser endlich zu seinem Mund kam, konnte er es schon fast nicht mehr trinken vor Husten, das meiste spuckte er auf den Boden, mit vor Anstrengung roten Augen. Ich trat sofort zur Seite, damit meine Lederhose nicht naß wurde, und er stürzte zum Spülbecken wie ein Pferd zur Krippe, schob seinen riesigen Kopf unter den Wasserstrahl und stützte das Kinn schwer auf das schmutzige Geschirr, bis sein Husten nachließ.
Dann hob er das Gesicht zu mir, grau
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