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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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spürte, wie er trotz der Rentierlederkleidung und des Wolfsmantels vor Frost erstarrte, wie seine Arme erlahmten und er immer weiter zurück in die tödliche Grube rutschte.
    Dann wurde er müde. Die Augen fielen ihm zu, und er kämpfte gegen diese Schlaffheit an, redete mit sich und sang sogar mit tonloser Stimme, nur um nicht einzuschlafen und abzustürzen. Er verlor jeglichen Zeitbegriff, und es schneite noch immer, lautlos und in dicken Flocken.
    Hundegebell, ganz in der Nähe, riß ihn aus einer drohenden Ohnmacht. Er stemmte sich erneut gegen den Rand und rief und rief. Er hörte seine Stimme selbst kaum und wußte, daß auch die Hunde ihn nicht hören konnten. Doch dann brachen drei kleine struppige, wolfsähnliche Hunde aus dem Unterholz, umkreisten bellend und heulend das Loch mit dem Menschenkopf darin im Schnee, rasten hin und her, fletschten die spitzen Zähne und legten sich dann am Rand des Loches in den tiefen Schnee, die rotleuchtenden Rachen aufgerissen.
    Und dann war auch ein Mensch da. Aus dem Wald kam er, einen Bärenspieß in der Hand, in ein zottiges Hundefell gekleidet, mit wildem, vereistem Bart, einer Mütze aus Wolfswamme tief im Gesicht und dicken, aus Bärenfellen genähten Stiefeln. Ein Gewehr trug er an einem Riemen über dem Rücken, und an einem breiten Hirschledergürtel hingen das Futteral einer schweren Nagan und zwei lange, scharfe Messer mit breiter Schneide.
    »Ei! Welch ein starkes Bärchen haben wir denn da gefangen?« sagte der Urmensch, pfiff die leise heulenden Hunde zu sich heran und setzte sich auf einen Baumstamm, Überreste eines Windbruches im Herbst. Er machte keinerlei Anstalten, Semjonow aus der Grube zu ziehen, sondern sah zu, wie der um sein Leben Ringende sich erneut emporzuziehen versuchte.
    »Hilf mir, Brüderchen!« stammelte Semjonow und starrte den Fremden aus hervorquellenden Augen an. »Was sitzt du herum? Hilf mir heraus.«
    Der Urmensch schüttelte den Kopf und kraulte einem der Hunde den Kopf.
    »Einen Bären wollte ich fangen«, sagte er. »Und was finde ich? Einen albernen Menschen! Das ist eine Enttäuschung! Die Arbeit einer Woche ist vertan, denn in eine Grube, in der ein stinkender Mensch war, geht kein Bär mehr hinein! Leb wohl … Ich verspreche dir, daß ich dich zuschaufeln werde, wenn du dich endlich hinabfallen läßt …«
    Semjonow krallte sich in den Eisboden. Schweiß rann über seine Augen und gefror sofort zu kleinen Kügelchen.
    »Warum willst du mich umbringen?« keuchte er und legte das Gesicht in den Schnee. »Was habe ich dir getan? Ich habe eine Frau und ein kleines Kind …«
    »Du hast mich gesehen!« sagte der dunkle Urmensch. »Das ist genug …«
    »Ich habe nichts gesehen!« brüllte Semjonow und fühlte, daß er wieder tiefer in die tödliche Grube rutschte. »Wenn du mich herausholst, habe ich gar nichts gesehen. Allein war ich im Wald, und ich werde vergessen, daß es dich gibt …«
    Der finstere Mensch lachte dumpf und klopfte einem seiner Hunde mit der flachen Hand auf den spitzen Wolfskopf. »Man verspricht viel, wenn einem das Messer an der Kehle sitzt. Am sichersten aber ist, sie durchzuschneiden!«
    »Hilf mir – ich habe keine Kraft mehr!« stöhnte Semjonow. »Hilf mir doch, Brüderchen.«
    »Wo kommst du her?« fragte der Urmensch.
    »Aus Nowo Bulinskij«, keuchte Semjonow. Seine Finger krallten sich in das Eis, aber sie hatten nicht mehr die Kraft, sich einzugraben.
    »Ach, aus dem deutschen Dorf. Wir nennen es so, weil man dort mehr Deutsch als Russisch spricht. Bist du auch ein ehemaliger Plenny?«
    »Nein«, schrie Semjonow, einer Eingebung folgend, man könne ihn als Deutschen erst recht krepieren lassen. »Ich bin Russe.«
    »Aus Bulinskij?«
    »Nein. Aus Moskau.«
    »Und was machst du da an der Lena?«
    »Ich bin Holzingenieur. Eine Frau habe ich, und ein Kindchen. Rette mich, Bruder …«
    Der wilde Mensch erhob sich, streckte den langen Bärenspieß vor und hielt ihn Semjonow hin. »Halt ihn fest!« knurrte er. »Mit beiden Händen. Ich zieh dich heraus.«
    Mit letzter Kraft umklammerte Semjonow den vereisten Spieß und hielt die Luft an. Ein paarmal ruckte es, er spürte, wie sein Leib über den Rand gezogen wurde, wie sein Oberkörper plötzlich im Schnee lag, wie das Grundlose unter ihm verschwand und seine Knie festen Boden fühlten. Da warf er die Arme weit nach vorn, ließ den Spieß los und sank mit dem Gesicht in den frischen, pulvrigen Schnee. Die drei Hunde umkreisten ihn bellend, stießen

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