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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jahren ist es überhaupt selbstverständlich. Wer fragt da noch nach Semjonow?«
    Semjonow schwieg. Ihr kennt Karpuschin nicht, dachte er. Und Ludmilla dachte dasselbe und sah auf ihre schmalen Hände. Rußland ist ein Land ohne Zeit … Was sind zwei Jahre für Menschen, die in Generationen rechnen?
    »Wann soll es anfangen mit dem Hausbau?« fragte Semjonow, nachdem man weitergegessen und -getrunken hatte. Nun trug man den Samogonka herein, den starken Schnaps, den die Sibiriaken lieben wie ihre Mütterchen. Die Gläser wurden gefüllt, und es roch in der großen Stube wie in einem Brennkeller.
    »Am nächsten Montag, Brüderchen«, sagte der Dorfsowjet. Jawohl, auch er war dabei und hatte Semjonow dreimal auf die Wangen geküßt. Das war zwar keine bolschewistische Geisteshaltung, aber in der Taiga schleifen sich die Ideologien ab, glaubt es mir, Freunde.
    »Ich möchte mithelfen!« sagte Semjonow. »Ich verstehe etwas davon. Ihr wißt ja gar nicht, was ich alles in diesen Monaten gelernt und getan habe …«
    Doch zunächst gab es einen Zwischenfall, den der Dorfsowjet mit dem Mäntelchen der Lüge zudeckte.
    Am Freitag dieser Woche erschien auf der Posthalterei von Nowo Bulinskij der Jakute Dschimskij. Man kannte Dschimskij gut im Ort. Er handelte mit Glasperlen, die die Mädchen zum Besetzen ihrer Festtagskleider brauchten; und jeden Monat kam ein großes Paket von Jakutsk herauf, voll mit wunderschönem mongolischem Glitzerkram, bunten Bändern und Stoffen mit durchgewebten goldenen Fäden.
    Dieser Jakute Dschimskij also kam auf das Postamt, beugte sich zum Schalter hinein, atmete den Posthalter mit einem Hauch von Knoblauch und Zwiebeln an und sagte: »Genosse, ich möchte ein Telegramm aufgeben. Geht das?«
    »Natürlich«, antwortete der Posthalter. »Dafür sind wir ja da! Brauchst du neue Glasperlen, Brüderchen?«
    »Etwas viel Wichtigeres, Genosse. Ich will mir einen schönen Batzen Geld verdienen.« Dschimskij trommelte mit den dicken gelben Fingern auf die Schalterplatte. »Ist es auch sicher, daß das Telegramm gleich weggeht?«
    »In einer Stunde ist es in Irkutsk. Sieh hier, der Morseapparat. Damit geht es durch die Luft.« Der Posthalter schob Dschimskij ein Formular hin und einen Bleistift. »Füll es aus, Freundchen«, sagte er dabei. »Adresse, Absender, Text, alles. Und genau! Wenn jemand reklamieren sollte … Wir müssen es schriftlich haben.«
    Der Jakute Dschimskij starrte auf das Papier, schob es dann weg und atmete dem Posthalter wieder seinen Knoblauch- und Zwiebelduft ins Gesicht. »Bin ich ein Professor?« sagte er. »Ich bin im Wald aufgewachsen und habe gelernt, nicht gegen den Wind zu pissen, aber schreiben war nicht so wichtig. Kannst du schreiben, Genosse?«
    »Los, diktiere!« sagte der Posthalter. »Was soll ich schreiben?«
    Dschimskij lehnte sich gegen die Glaseinfassung des Schalters und sah gegen die getünchte Decke.
    »Schreib!« sagte er. »An die Polizeistation in Jakutsk. Melde, Genossen, daß sich in Nowo Bulinskij ein Deutscher befindet, der sich Semjonow nennt und von euch gesucht wird. Mein Name ist Miron Pjotrowitsch Dschimskij aus Nowo Bulinskij. Wenn ihr den Deutschen abholt, bringt die fünftausend Rubelchen Belohnung gleich mit. Es lebe die sozialistische Volksrepublik!« Dschimskij sah den Posthalter an. »Hast du's, Genosse?«
    »Natürlich.« Der Posthalter legte den Bleistift weg. »Sag mal, bist du verrückt?«
    »Fünftausend Rubel sind fünftausend Rubel!« sagte Dschimskij. »Oder meinst du nicht?«
    »Semjonow hat keinem etwas getan!«
    »Weißt du das so genau?«
    »Weißt du es anders?«
    »Ich weiß nur, daß ich fünftausend Rubelchen verdienen kann. Hast du einmal ausgerechnet, wieviel Glasperlen ich dafür verkaufen müßte? Man kann es gar nicht ausrechnen …« Dschimskij setzte seine hohe spitze Pelzmütze wieder auf den struppigen Schädel. »Wann ist das Telegramm in Jakutsk?«
    »In einer Viertelstunde.«
    »Dann werden sie morgen kommen und mir die Rubelchen bringen.« Dschimskij grinste breit und wohlig. »Ich glaube, Genossen, man wird sich nach einem anderen Glasperlenhändler umsehen müssen. Ich ziehe weg in die Stadt …«
    Die Ahnung Dschimskijs, daß er keine Glasperlen mehr verkaufen würde, bewahrheitete sich. Kaum war der Jakute weg, schloß der Posthalter das Postamt, hängte ein Schild an die Tür: Komme gleich wieder, und lief zum Dorfsowjet und zu einigen anderen Freunden.
    »Ich bin zwar Beamter der Post«, sagte er immer

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