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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Du kannst gehen, Genosse! Aber vergiß nächstens nicht deinen Ausweis!«, und die Sache war erledigt. Ein reges Kommen und Gehen herrschte in Shigansk und allen anderen Orten, wo Straßensperren errichtet worden waren. Man erzählte später, daß Sprachforscher – falls sie zugegen gewesen wären – vor Freude umgefallen wären, denn so viele unbekannte und schreckliche Flüche wurden noch nie ausgestoßen wie an diesem Tag zwischen Jakutsk und Shigansk.
    Hinter Shigansk wurde es ganz ruhig.
    Keine Sperren, kein Militär, keine Patrouillen, keine Hubschrauber. Karpuschin hatte den äußeren Ring nur bis Shigansk gezogen, denn weiter konnte Semjonow nach menschlichem Ermessen nicht geflüchtet sein, wenn er überhaupt Jakutsk verlassen hatte. Auch Semjonow kann keine Wunder tun, dachte Karpuschin. Selbst wenn der Teufel ihm die Gabe verliehen hätte, fliegen zu können … Shigansk war der äußerste Punkt im Norden.
    Und während Karpuschin spät in der Nacht sich neben Marfa ins Bett wälzte, nach ihrem Körperchen tastete, mit schwerer Zunge: »Mein wildes Schwänchen, komm zu mir!« stammelte und dann mit lautem Schnarchen einschlief, fuhr Semjonow ungehindert auf der Straße entlang der Lena nach Norden, Nowo Bulinskij entgegen und seinem Paradies, das nun viel von seiner Sicherheit verloren hatte.
    Und je näher Semjonow Bulinskij kam, desto fester wurde in ihm der Entschluß, Ludmilla nichts von dem zu erzählen, was sich in Jakutsk zugetragen hatte.
    Ihren Frieden soll sie haben, dachte er. Glücklich soll sie sein in unserem neuen Haus, mit Nadja, unserem Kind, und mit mir, ihrem Pawluscha. Wie der Vogel Strauß will ich es machen – den Kopf in den Sand stecken und nichts sehen von der Gefahr. Zum erstenmal tue ich es … Ludmilla soll ihr kleines Paradies behalten.
    So fuhr er auch nicht nach Hause, als er Nowo Bulinskij erreicht hatte, sondern durch die kleine Stadt hindurch zum Krankenhaus.
    Früher Morgen war's. Über der Lena lag noch Nebel, aus der Taiga stiegen weiße Wolken in die silberne Morgensonne. Am Waldrand balgten sich zwei Füchse, und auf der Sandbank gegenüber dem Krankenhaus flog ein Schwarm Wildenten auf, als Semjonows pochender Dieselmotor die Stille des Morgens störte.
    Ein Paradies, dachte Semjonow traurig. Bei Gott – ein Paradies …
    Und Karpuschin lebt …!
    Die Kirstaskaja war schon auf, und auch Borja, der Krankenpfleger, schlurfte durch den Flur, als Semjonow an die Tür klopfte. In der Nacht war ein Jäger eingeliefert worden, dem ein Bär die rechte Wange abgerissen hatte. Ein mächtiger Prankenhieb war es gewesen, und die Kirstaskaja hatte ihre Mühe, die hängenden Fleischfetzen so zusammenzuflicken, daß der Mann später wieder menschlich aussah.
    »Was ist denn dir passiert?« fragte sie, als Semjonow sich im Arztzimmer auf einen Stuhl fallen ließ und die Beine erschöpft von sich streckte. Jetzt hätte er schlafen können, umfallen, sich auf den Boden legen und schlafen. Welch eine große Sehnsucht! Er blinzelte, hielt mühsam die Augen offen und sah der Kirstaskaja zu, wie sie sich den Oberkörper entblößte und an einer großen emaillierten Waschschüssel wusch. »Hast du einen Unfall gehabt, Pawel?«
    »Karpuschin lebt!« sagte Semjonow mühsam.
    »Nein!« Die Kirstaskaja fuhr herum und bedeckte ihre vollen Brüste mit einem Handtuch. Ihre Augen waren ungläubig. Mit schräg geneigtem Kopf sah sie Semjonow an und schüttelte dann die blonden Haare aus der Stirn.
    »Du hast getrunken, Pawel Konstantinowitsch.«
    »Ich wünschte, es wäre so, Katharina Iwanowna. Seit gestern mittag weiß ich, daß die Hetze weitergeht. Ich komme direkt aus Jakutsk … Seit achtzehn Stunden sitze ich hinter dem Steuer. Mir ist, als seien meine Füße nur noch Bremse und Kupplung, und meine Hände … sehen sie nicht aus wie ein Lenkrad?« Er hielt die Hände vor, und sie zitterten wie im Schüttelfrost. Erschöpft war er, völlig erschöpft.
    »Du hast Karpuschin selbst gesehen?« fragte die Kirstaskaja und begann, sich anzuziehen.
    »Ihn nicht. Aber Marfa Babkinskaja. Und sie hat mich erkannt. Minuten später war in Jakutsk die Hölle los. Alle Straßen sind gesperrt, alle Häuser werden durchsucht, fast drei Bataillone Militär sind mobilisiert … eine solche Macht hat nur Karpuschin. Aber ich war schneller als er … ich war um Minuten schneller …« Semjonow stützte den Kopf in beide Hände und seufzte laut. »Ludmilla darf es nie erfahren … darum bin ich zu Ihnen

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