Liebesnächte in der Taiga
Schleifmaschinen kaufen wollte.
Karpuschin hatte den Fehlschlag überwunden und gut gegessen, als Gast der Parteileitung von Jakutsk. Daß in seinem Inneren der verletzte Stolz wie ein Bleiklumpen lag und sein Haß gegen Semjonow unmeßbare Ausmaße annahm, ging niemanden etwas an. Fröhlich saß er am großen Tisch, trank Wodka und später den herrlichen Mukusani-Grusinischen Nr. 4, einen Rotwein von sonnigem Feuer, erzählte Erlebnisse aus dem Krieg und aus seiner Zeit beim Geheimdienst. Dann ging er beschwingt ins Nebenzimmer, nahm Marfa mit, da sie ja Deutsch sprach, und stellte sich vor Schliemann hin, der zwischen zwei Milizsoldaten mit Maschinenpistolen stand und sich sichtlich langweilte.
»Angst?« fragte Karpuschin laut.
Schliemann hob die Augenbrauen und wedelte mit der Hand durch die Luft, denn Karpuschins Atem war eine Wolke von Alkoholdunst.
»Warum?« fragte er zurück.
»Du bist verhaftet, deutsches Schwein!«
»Hier dürfte ein Irrtum vorliegen, General.« Schliemann warf einen Blick auf Marfa Babkinskaja. Aus Semjonows Erzählungen wußte er, wer sie sein konnte, aber ganz sicher war er nicht. »Im Krieg waren wir Gegner, dann war ich ein Plenny; aber seit sieben Jahren bin ich ein freier Bürger in einem sozialistischen Musterland, habe mein Haus, meinen Beruf, meine Anstellung in der Sowchose Munaska, habe Kinderchen und im Stall drei Ferkelchen, zwei Renhirsche, zwei kleine struppige Pferdchen und eine Kuh. Ich zahle Steuern und besuche die Versammlungen der Partei in der Stolowaja … Können Sie mir sagen, General, ob das alles ausreicht, ein ›deutsches Schwein‹ zu sein?«
Karpuschin schwieg. Nicht aus Verlegenheit, nicht aus Verblüffung … er schwieg einfach deshalb, weil er nachdachte.
»Wo ist Semjonow?« schoß er plötzlich seine Frage ab.
»Semjonow? Wer ist das?«
»Was machst du in Jakutsk?«
»Ich will Maschinen kaufen. Zum Schleifen von Achatsteinen. Wir wollen in Bulinskij eine kleine Achatfabrikation aufmachen.«
»Oh!« rief Marfa und lachte. »Von Ihnen stammt der süße kleine Bär? Ich habe ihn gekauft. Er steht bei mir am Bett.«
Karpuschin winkte ab, Schliemann lächelte. Wie klein die Welt ist, dachte er. Ausgerechnet Karpuschin kauft einen Achat, den Ludmilla Semjonowa gefunden hat. Wenn er das wüßte … wie eine Rakete würde er über Bulinskij herunterkommen.
»Was würdest du tun, wenn Semjonow bei dir auftaucht?« fragte Karpuschin.
»Nichts. Weiß ich, wer Semjonow ist?« Schliemann sah Karpuschin treuherzig an.
»Hast du das Flugblatt nicht gelesen?«
»Ich kenne kein Flugblatt. Ich bin seit Stunden verhaftet. Und keiner sagt mir, warum! Ist es ein Verbrechen geworden, Maschinen zu kaufen und dem Fortschritt zu dienen?«
»Semjonow ist – aber was erzähle ich! Man wird dir ein Flugblatt geben! Auf fünftausend Rubel ist das Kopfgeld erhöht worden. Weißt du, warum ich dir das sage, du deutscher Hund?«
»Nein, General.«
Karpuschin blinzelte. Gut tat es ihm, ein wenig von dem Haß gegen Semjonow auf diesen deutschen Neugenossen abzuladen. »Es ist möglich, daß Semjonow vielleicht bei euch auftaucht. Und ihr werdet ihn verbergen, denn dann zuckt wieder euer deutsches Herz, und Mütterchen Rußland, eure neue Mutter, tretet ihr schamlos in den Hintern. Ich werde es entdecken, du schleimiges Rattenaas, und ich werde dich in fünftausend Teile zerreißen lassen, so viele, wie man Rubelchen zahlen würde für Semjonow. Verstehst du? Oder wirst du Semjonow anzeigen, wenn du ihn siehst?«
»Ich werde ihn anzeigen, General!« sagte Schliemann laut.
»Abführen!« Karpuschin atmete tief. »Laßt ihn frei. Ein Mensch, der so vor Lüge stinkt, verpestet nur die Gefängnisse!«
So wurde Schliemann aus der Haft entlassen. Man gab ihm vor dem Parteihaus als Abschied noch einen Tritt, und er stürzte auf das Pflaster und rollte unter dem Gelächter der Milizsoldaten in den Rinnstein. In der Hand hielt er den Steckbrief Semjonows, und es war eine Beruhigung, ihn zu sehen, denn das gezeichnete Gesicht hatte wenig Ähnlichkeit mit Pawel Konstantinowitsch. So bekommen sie ihn nie, nie, dachte Schliemann, als er sich aus der Gosse erhob und davonhinkte. Die einzige, die ihn wirklich kennt, ist Marfa Babkinskaja. Und sie darf Semjonow nie wieder begegnen …
Kaltblütigkeit, Mut und starke Nerven gehörten dazu, trotz der Militärpatrouillen auf den Straßen an der Lena nach Nowo Bulinskij weiterzufahren, wie es Semjonow nun seit zwölf Stunden ohne
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