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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Unterbrechung tat.
    Nachdem er den inneren Sperrbezirk verlassen hatte, bevor noch die Wege abgeriegelt worden waren, fuhr er zu einer Scheune, brach die Tür auf und belud den Lastwagen der Sowchose Munaska mit gepreßten Strohballen. Ein großes Geschrei würde es geben, wenn man den Diebstahl entdeckte. Der Bauer würde sich die Haare raufen und die Schlechtigkeit der Menschen verfluchen … Aber was sind ein paar Strohballen gegen ein Leben, das nach dem Aufschrei Marfas von über dreitausend Soldaten gejagt wurde?
    Dann rieb er sein Gesicht mit Lehm und Staub ein, als sei er den ganzen Tag schon auf den staubigen Straßen unterwegs und sehne sich nach einem heißen Trog in der Banja. Und eine Sonnenbrille setzte er auf. Er hatte sie vorsorglich mitgenommen, denn wenn die Sonne über die Lena und ihre sandigen Ufer scheint, blendet das Wasser und glitzert der Sand, und es ist besser für die Augen, hinter getönten Gläsern über das weite Land zu blicken.
    Den ersten Aufenthalt gab es kurz vor Shigansk.
    Drei Geländewagen der Roten Armee sperrten die Straße ab und kontrollierten jeden Menschen. Neun Bauernkarren standen am Straßenrand, und es war schon ein großes Geschrei an den drei Militärwagen, als Semjonow mit knirschenden Bremsen hielt und ausstieg.
    »Seit hundert Jahren fahren die Polopows hier hin und her, und keiner hat je gefragt: Hast du einen Ausweis!« brüllte ein riesengroßer Bauer mit einem Bart, der bis zum Nabel reichte. »Ist das die neue Zeit, Genossen, he? Auf mein Feld will ich, pflügen und es von Steinen säubern! Wie soll ich mein Soll erfüllen, wenn man mich festhält. Auf dem Weg, den seit hundert Jahren die Polopows …«
    »Ohne Ausweis muß ich Sie verhaften, Genosse!« schrie ein Feldwebel der Roten Armee. »Befehl ist Befehl! Kann ich etwas dagegen machen?«
    »Und die anderen?«
    »Auch!«
    »Verhaften? Das halbe Dorf?«
    »Wer keinen Ausweis bei sich hat …«
    »O Brüderchen!« brüllte der alte Bauer verzweifelt. »Statt Hirn haben sie Schweinemist im Kopf! Was soll man dagegen tun? Sie haben einen Befehl!«
    »Ihr werdet alle mitkommen nach Shigansk.«
    »Und die Felder? Unsere Frauen? Geht mit ins Dorf. Dort wird euch jeder sagen, wer die Polopows sind …«
    Es hätte noch weitere Diskussionen gegeben, wenn Semjonow nicht in den Kreis getreten wäre und laut: »Freiheit und Frieden, Genossen!« gerufen hätte. Der Feldwebel sah ihn wohlwollend an. Endlich ein Mensch mit Bildung, dachte er. Es tut gut, sich am Benehmen eines wohlerzogenen Genossen zu erholen.
    »Was soll's?« fragte er. »Ist das dein Wagen da?«
    »Ja. Von der Sowchose Munaska. Strohballen. Sie warten darauf, Genosse Feldwebel. Es ist dringend. Im Winter hatten wir Unglück. Die Ratten kamen in die Silos, und als der Schnee schmolz und die Lena überlief, da stand alles unter Wasser und verfaulte. Nun stehen die Pferdchen auf der nackten Erde, und die Ferkelchen weinen. Macht schnell, Genossen, seht euch die Ladung an und gebt den Weg frei. Oder wollt ihr, daß arme, unschuldige Tiere leiden?«
    Es soll vorkommen, daß auch Feldwebel denken. Nie bestritten worden ist, daß sie ein Herz haben. Und was ein tiefempfindender Russe ist, dem greift das Leid der Kreatur an die Seele, vor allem, wenn es sich um Pferdchen handelt, die kein Stroh mehr haben.
    »Sowchose Munaska?« fragte der Feldwebel, denn er war verpflichtet, etwas zu tun und eine Amtshandlung auszuführen. »Strohballen?«
    »Preßstroh, Genosse. Bitte, überzeugt euch.«
    »Passieren!« sagte der Feldwebel. »Gute Fahrt, Genosse.«
    Die Bauern am Straßenrand heulten auf, als Semjonow, fröhlich winkend, an ihnen und den drei Militärwagen vorbeifuhr und in einer Staubwolke verschwand.
    »Warum darf er fahren?« brüllte der alte Polopow und zerrte an seinem Bart. »Hat er einen Ausweis gezeigt? Anzeigen werde ich euch, jawohl, anzeigen! Das ist Vetternwirtschaft! Nur weil er von der Sowchose ist … Es gibt keine Menschen zweiter Klasse, sagte Lenin! Gleichheit für alle! Ich fordere sofort, daß man uns …«
    Es half dem armen Polopow nichts, daß er Lenin zitierte und kommunistische Parolen hinausschrie. Man fuhr die Bauern nach Shigansk, wo sich bald die Gefängnisse mit Personen füllten, die sich nicht ausweisen konnten. Allerdings ging das Aussortieren schneller als das Verhaften … Alle mußten an den Tischen der Kommissare vorbei, und vor denen lag der Steckbrief Semjonows. Wer nicht so aussah wie Semjonow, dem wurde gesagt:

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