Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
nachher ist er es doch nicht! Wie können Menschen sich nur so ähnlich sehen? Vielleicht war es gar nicht Semjonow, der auf dem Trittbrett der Straßenbahn hing? Aber es waren seine Augen … Ich habe sie nie vergessen, seit damals im Botanischen Garten … und es war der gleiche Blick des Entsetzens wie damals am Goldfischteich.
    »Fangen wir also an!« sagte Karpuschin fast gemütlich und rieb sich die Hände. »Die Röcke und Hemden aus!« Und jetzt wurde der Ton militärisch laut und duldete keine Widerrede. »Mit freiem Oberkörper tritt jeder ein! Und wenn ihr Schreie hört, macht euch nicht in die Hosen! Unter euch ist ein Spion … und wenn sich der nicht meldet, müßt ihr alle durch die Singschule gehen!«
    Es dauerte zwei Stunden, bis Karpuschin jeden der dreiundzwanzig einzeln im Büro des Distriktsowjets verhört hatte. Es war ein normales Verhör, ohne Ohrfeigen und Tritte, Hiebe und andere gedächtnisanregende Mittel. Ganz normal sprach Karpuschin mit ihnen, erkundigte sich nach den Familien, nach der Wohnung, nach dem Beruf. Am Ende blieb einer übrig, der ehrlich angab, allein auf der Welt zu sein. Seine Mutter kannte er nicht; sein Vater war unter einen Traktor gekommen, Geschwister besaß er keine; verheiratet war er nicht, verlobt ebensowenig. Er war als Waldarbeiter tätig – ein armes, vom Wohlleben und allen Siebenjahresplänen noch unberührtes Schweinchen, ein Mensch, der lebte und nicht wußte, warum. Mit Semjonow hatte er eine große Ähnlichkeit, nur war er jünger. Aber wer fragt danach?
    Karpuschin nickte, sagte freundlich: »Man wird dir für heute eine kühle Zelle geben und gutes Essen, Genosse!« und ließ den anhanglosen Menschen abführen.
    »Ein guter Fang«, erläuterte er dann dem Distriktsowjet, der nicht verstand, was da geschehen sollte. »Legen wir ihn auf Eis, Bruder. Es kann sein, daß Semjonow tatsächlich durch eine uns noch unbekannte Lücke geschlüpft ist. Was dann, Genosse? Blamiert wären wir, bis ins Mark blamiert. Moskau würde Sie degradieren und in die Mongolei schicken, denn was ist das für ein Kommandant, der einen Spion entkommen läßt? Das sehen Sie doch ein!«
    Der Distriktsowjet nickte. Er fror bei dem Gedanken, was alles mit ihm geschehen konnte. Karpuschin winkte mit beiden Händen ab, als er die verstörten Augen seines Gegenüber sah.
    »Keine Furcht, Genosse! Wir haben ja diesen anhanglosen Menschen! Er sieht aus wie Semjonow, keiner vermißt ihn, wenn er fehlt, und wenn er in der Kiste liegt, fragt keiner nach dem Altersunterschied.« Karpuschin lächelte und zog eine Schachtel mit Papyrossi heran. »Man muß im Leben immer ein Ausweichgleis haben, Brüderchen«, sagte er weise. »Oft ist die Strecke blockiert, da muß man Nebenstrecken fahren. Es kommt nur darauf an, daß die Mitreisenden wahre, treue Genossen sind …«
    »Ich bin auf Ihrer Seite, General«, erklärte der Sowjet von Jakutsk mit hohler Stimme. »Um meinen Kopf geht es ja auch …«
    »Um Ihren in erster Linie, Genosse!«
    »Was machen wir also mit dem Waldarbeiter?«
    »Wir ernähren ihn gut, er bekommt ein weiches Bett und wird gut behandelt. Wenn wir Semjonow wirklich nicht finden sollten … Es gibt Menschen, Brüderchen, die Pech im Leben haben. Sie ertrinken beim Waschen oder ersticken an einer kleinen Gräte. Unser Anhangloser hat das Schicksal, Semjonow zu sein …«
    Der Sowjet von Jakutsk nickte kurz. Wieder fror es ihn. Er sah Karpuschin von der Seite an und empfand ein Grausen, als er ihn fröhlich und munter rauchen und seinen gefärbten Bart streicheln sah. Ein gütiges altes Väterchen, so konnte man denken. Ein zufriedener Pensionär mit ein paar Rubelchen in der Tasche.
    Und welch ein Teufel war er doch, dieser Matweij Nikiforowitsch! Falsch, ganz falsch ist es, was in den Kinderbüchern steht, daß der Satan dünn ist, Hörner trägt und einen Schwanz hat. Mittelgroß und dicklich ist er, der Teufel, und einen schwarzen Bart hat er und sieht aus wie das Großväterchen auf der Ofenbank.
    Merkt es euch, Genossen!
    Gegen Abend stand auch Egon Schliemann vor Karpuschin.
    Man hatte alle Verdächtigen freigelassen. Die Straßen waren noch gesperrt; in den Außenbezirken durchkämmte Militär und Miliz noch die Holzhütten und kroch in jeden in die Erde gegrabenen Vorratsspeicher. Schliemann brachte man zu Karpuschin, weil er ein ehemaliger deutscher Plenny war, der angab, an der Lena zu wohnen, im Norden, noch über Shigansk hinaus, und der in Jakutsk

Weitere Kostenlose Bücher