Liebesnächte in der Taiga
… in meinem ganzen Leben nur zweimal! Der eine verriet mich und war ein Schuft, der andere – du kennst ihn, Pawel Konstantinowitsch – war ein amerikanischer Spion und starb in meinen Armen. Ist meine Liebe nicht schrecklich …«
»Und der dritte ist nun ein Deutscher«, erwiderte Semjonow und stand auf. Er holte eine Flasche Erdbeerwein und goß drei Gläser voll. »Habe ich recht, Katharina Iwanowna? Ein Lebenslänglicher ist er.«
»Du mußt mir helfen, Pawel Konstantinowitsch.« Die Kirstaskaja umfaßte das Glas mit Erdbeerwein, als wolle sie es zerdrücken.
»Wie kann ich das? Sie wissen doch, wie hoffnungslos das ist. Hoffnungsloser als Ihre Liebe zu James Bradcock. Sie sollten diesen Mann vergessen!«
»Hast du Ludmilla vergessen, he?« schrie die Kirstaskaja. Ihr wildes Gesicht flammte. Wie goldene Schlangen umringelten die Locken ihre Stirn und fielen über ihre Augen. »Hast du gefragt, was wird? Du bist in Rußland geblieben. Und Ludmilla? Eine Kommissarin war sie. Und was ist sie jetzt? Ein braves sibirisches Mütterchen und deine zärtliche Frau! Hast du alles geahnt? War das geplant, als du nach Rußland kamst, um unsere Atomgeheimnisse zu entdecken? Sag nicht, das sei etwas anderes gewesen! Sag das nicht! Eure Liebe war stärker als alles, was bisher euer Leben bedeutete. Alles habt ihr von euch geworfen, um nur noch für euch zu sein! Warum habe ich nicht das gleiche Recht?«
»Er lebt innerhalb eines Zaunes und du lebst außerhalb. Ein lächerlicher Stacheldrahtzaun nur, aber er trennt Welten.« Semjonow hob sein Glas mit Erdbeerwein. »Kommen Sie, trinken Sie!«
»Ich will nicht trinken, ich will deine Hilfe!« Wie ein trotziges Mädchen saß sie da, die stolze Kirstaskaja. »Weißt du, daß es keinen anderen mehr geben wird, den ich lieben kann? Weißt du, daß mein ganzes Leben ein einziges Warten auf ihn war, ohne daß ich es ahnte?«
»Das ist falsche Romantik, Katharina Iwanowna.«
»Sieh ihn dir an … das ist alles, worum ich dich bitte. Du bist ein Deutscher wie er, du sollst mir sagen, ob er ein guter Mensch ist. Sprich mit ihm, Pawel Konstantinowitsch … und wenn er ein Lump ist, so sag es, und ich werde Nowo Bulinskij nie mehr verlassen …«
»Und wenn er ein Mann ist wie Pawluscha?« fragte Ludmilla leise.
»Dann werde ich ihn lieben.«
»Durch den Stacheldraht …«
»Es wird keinen Stacheldraht mehr geben. Ihr habt es vorgemacht. Eure Liebe hat euch quer durch Sibirien getrieben. Bin ich zu schwach dazu? Kann ich nicht mit ihm nach Süden, nach China, in die Mongolei?«
Semjonow trank mit einem langen Schluck sein Glas leer. Er scheute sich zu sagen, was notwendig war, aber die sprühenden Augen der Kirstaskaja ließen ihm keine Wahl.
»Das wird er nie tun.«
»Was?«
»Aus dem Lager ausbrechen.«
»Wenn er mich liebt …«
»Er ist der Lagerarzt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Würdest du hundertzwanzig Mann, die dich brauchen und mit denen du zwanzig Jahre lang gelebt und gelitten hast, denen du oft die einzige Zuflucht und der einzige Trost warst, würdest du sie verlassen?«
»Ich bin kein Held! Ich bin eine Frau!« schrie die Kirstaskaja. »Ich liebe und reiße dafür die Welt ein!«
»Aber er ist Arzt. Wissen Sie, was ein Arzt in Gefangenschaft bedeutet? ›Doktor, helfen Sie!‹ – das war ein Schrei, der hunderttausendfach in den Lagern erklang … vom Eismeer bis zur Steppe Kasakstans. Der Arzt … er war uns Vater und Mutter, Beichtvater und Klagemauer! Was wären wir ohne ihn gewesen?«
»O ihr deutschen Helden! Ihr verfluchten deutschen Helden!« Die Kirstaskaja trommelte mit den Fäusten auf den Tisch. Jetzt war sie wieder wie früher, ein wildes, gefürchtetes Weib, dem man aus dem Weg ging, wenn man seine Ruhe haben wollte. »Kannst du den Eisgang auf der Lena aufhalten, he? Hilft es etwas, wenn du dich in den Schneesturm stellst und schreist: Himmel, hör auf, es ist genug! Starr mich nicht so blöde an, Pawel Konstantinowitsch! Ich habe auf diese Liebe dreißig Jahre lang gewartet … ich lasse sie mir nicht ausreden mit heldischen Phrasen!«
»Was soll ich also tun?« fragte Semjonow und hob hilflos die Schultern. »Befehlen Sie, Katharina Iwanowna. Sie wissen, ich bin Ihr Knecht. Sie haben mir Ludmilla vom Tod gerettet. Sie können mit mir tun, was Sie wollen.«
»Wir fahren ins Lager, wir alle. Und du siehst ihn dir an. Ludmilla kennt ihn. Was sagst du zu ihm?«
»Ein großer blonder Mann ist er. Und er hat deine Augen«, sagte Ludmilla
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