Liebesnächte in der Taiga
nicht mehr aus. Weiße Haare hat er bekommen. Es fing schon an, als wir ihn einschlossen. Drei Tage und drei Nächte hat er gegen die Tür gehämmert und geschrien, er sei unschuldig. Dann bellte er, und als wir die Tür aufschlossen, war er wahnsinnig. Ein hoffnungsloser Fall, Genosse Generalmajor. Was sollen wir mit ihm anfangen?«
Ein hartes Schicksal war's, dem Karpuschin entgegensah. Er wußte es, als er wieder in seinem Zimmer war, und Marfa wußte es auch, denn sie hockte ganz klein und schmal auf ihrem Bett, schwieg und starrte Karpuschin an wie ein Kind, das nicht weiß, ob es gleich Schläge bekommt oder eine Zuckerstange.
»Nimm Papier, mein Täubchen«, sagte Karpuschin, nachdem er eine halbe Stunde lang auf und ab gewandert war. »Es hilft uns niemand mehr. Auch der Weg nach China ist verschlossen … ich war unklug, ich gebe es zu. Nimm Papier und schreib …«
Und dann diktierte Karpuschin in kurzen, aber deutlichen Worten seine Niederlage gegen Semjonow. Und er diktierte auch den Satz, bei dem die Feder Marfas zitterte und fahle Blässe über ihr Gesicht zog.
»… Ich melde, daß nach den vorliegenden Erfahrungen ein Ergreifen Semjonows so gut wie ausgeschlossen ist. Sämtliche Fahndungsmittel sind erschöpft. Das einzige, was noch helfen könnte, wäre der Zufall. Ich glaube nicht, daß wir darauf hoffen sollten. Ich bitte um eine weitere Verwendung und stehe zur Verfügung …«
Marfa ahnte, was dieser letzte Satz bedeutete. Sie schrieb ihn nicht, sondern sah mit schreckensweiten Augen zu Karpuschin auf.
»Muß das sein, Matweij Nikiforowitsch?« fragte sie mit kindlich leiser Stimme.
»Es muß, mein Täubchen!« antwortete Karpuschin ernst.
»Und was geschieht mit mir?«
»Du wirst mir die Tage mit Sonne füllen, solange wir noch in Jakutsk sind. In Moskau wirst du dann weiter Dienst tun wie bisher.« Er beugte sich vor und sah Marfa in die dunklen, angstvollen Augen. »Mein Engelchen … es war eine schöne Zeit. Du hast einem alten Mann noch einmal den Frühling geschenkt. Aber geliebt hast du mich nie. Belüge mich nicht. Man kann einen Mann wie mich nicht lieben.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Marfa und sah an Karpuschin vorbei. »Als es damals passierte, in Oleneksskaja Kultbasa, da haßte ich dich, da stand mir der Ekel bis zum Hals. Aber jetzt ist es anders, jetzt bist du ein gehetztes, armes Väterchen für mich. Und man gewöhnt sich an alles, wie an Kapusta, Brot und Kartoffeln.«
»Du bist ein nüchternes Teufelchen, aber es ist gut so.« Karpuschin richtete sich auf und setzte seine Wanderung durch das Zimmer wieder fort. »Schreib den letzten Satz, Vögelchen. Man soll in Moskau sehen, daß ich kein Feigling bin. Nie war ich ein Feigling, nie!«
An einem der nächsten Tage erschien plötzlich die Kirstaskaja im Haus der Semjonows. Ludmilla hatte einen Schinken gekocht, dazu gab es Erbsen und Gurken in saurer Sahne, und Semjonow hatte gerade berichtet, daß die Achatschleiferei ein großes Geschäft werde, als es klopfte und die Ärztin draußen stand.
Verändert sah sie aus, und Ludmilla blickte sie verwundert an. Ihre blonden Haare hatte sie mit einer Brennschere behandelt und lange, bis zu den Schultern hängende Locken gedreht. Ihr voller Mund war rot geschminkt, und die Augenbrauen hatte sie nachgezogen.
»Ich muß mit euch sprechen«, sagte die Kirstaskaja, als auch Semjonow sie entgeistert anstarrte. Sie setzte sich an den Tisch in der schönen Ecke und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte – wirklich, auch die Nägel hatte sie manikürt und lackiert. »Ich brauche euren Rat. Die einzigen Freunde seid ihr … Wo sollte ich sonst hingehen?«
»Du bist verliebt«, sagte Ludmilla. »Nicht wahr?«
Über das Gesicht der Ärztin glitt eine sanfte Röte. Weich und mädchenhaft machte es ihr Gesicht, wie man es sonst nicht kannte.
»Wer behauptet das?« fragte sie.
»Deine Augen behaupten es, deine Lippen, dein Haar, dein Körper. Alles an einer Frau spricht von Liebe, wenn sie liebt. Ist es nicht so, Pawluscha?«
Semjonow nickte und umfaßte Ludmilla. »Eine liebende Frau ist ein wahres Wunder Gottes. Sehen Sie sich Ludmilla an, Katharina Iwanowna.«
Die Kirstaskaja griff nach einem Glas Milch und trank es hastig aus, als brenne etwas in ihrem Hals, das sie löschen müßte.
»Ja«, sagte sie dann, und ihre tiefe Stimme schwang wie bei einem Choralgesang. »Habe ich kein Recht dazu, bin ich nicht eine Frau wie jede andere auch? Zweimal habe ich geliebt
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