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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gelegenheiten dazu, aber alle schienen sie ihm nicht gut genug. Erst an einer der Gefangenenbaracken sah er einen eisernen Haken und führte die Pferdchen mit dem Karren dorthin.
    »Das habe ich gern!« schrie einer der Stubendienstler, der gerade das Beet geharkt hatte, und nun stampften die Gäulchen Semjonows alles wieder zusammen. »He, Iwan, du Dreckferkel, nimm deine Ziegen weg! Das ist ein Garten, du Holzkopf! Nun mach schon, du elender Hund!«
    Das wurde alles auf deutsch geschrien, während der Gefangene auf das zerstampfte Beet zeigte und Zeichen machte, die Pferde wegzuführen.
    Semjonow lächelte. Er band die Pferdchen an einen eisernen Haken, ging hinüber zu dem wütenden Plenny und sagte leise, ebenfalls auf deutsch: »Halt die Fresse, Kumpel. Hinter den Rädern, an den Radnaben, ist ein Hohlraum. Da liegen Päckchen mit Tabak drin. Aber beeil dich, du sturer Hund!«
    Der Plenny sah mit offenem Mund dem russischen Bauern nach, der mit schweren, stampfenden Schritten, wie ein Pflüger, zur Kommandantur ging. »Leck mich am Arsch«, stotterte er. »Das ist ja 'n Kumpel!«
    Und er blieb stehen und starrte Semjonow nach, bis dieser in der Baracke verschwunden war. Dann drehte er sich um und kroch flink wie ein Wiesel unter den Bauernkarren. Mit acht Päckchen Tabak kam er wieder zum Vorschein, sah sich schnell nach allen Seiten um und rannte dann wie um sein Leben in die nächste Gefangenenbaracke.
    Noch jemand hatte Semjonow gesehen und saß nun nachdenklich und verwirrt am Fenster der Revierstube.
    Peter Kleefeld, der ehemalige Obergefreite aus Westfalen, hatte Putzerdienst im Revier. Nachdem er das Lagerlazarett geschrubbt und die Dielen desinfiziert hatte, saß er nun in der Sonne, kaute an einer Speckschwarte und dachte an gar nichts. Oder doch: Einen Augenblick dachte er daran, was die Kumpels wohl heute abend aus dem Wald mitbringen würden. Vorgestern hatte es eine Sensation gegeben. Schön zerteilt und verstreut über den ganzen Holzeinschlagplatz hatten sie einen vollständigen gebratenen Hammel gefunden. Die sowjetische Lagerinnenwache, die vor Dunkelheit noch einmal die Baracken kontrollierte, hatte geschwiegen, denn sie hatte mitgegessen. Außerdem bekam jeder Wachsoldat eine Handvoll Tabak, und so etwas überwindet alle völkischen Gegensätze.
    Peter Kleefeld sah den Bauernkarren schon von weitem kommen. Er erkannte die Ärztin und ihre Assistentin, aber als er den Mann sah, der die Pferde lenkte, gab es ihm einen Stich in der Brust.
    Das ist er doch, dachte Peter Kleefeld, und beugte sich aus dem Fenster. Himmel, Arsch und Wolkenbruch, das ist er! Sieht aus wie ein Russe, trägt russische Kleidung, aber es hat ja niemand gesagt, daß er in einem Maßanzug daherkommt. Er ist es, verdammt noch mal, er ist es!
    Kleefeld griff in seine Hosentasche. Als einziger hatte er den Steckbrief aufgehoben, den Karpuschin damals im Lager verteilt hatte. Er hatte ihn so klein zusammengefaltet, daß er nicht auffiel. Nachts legte er ihn unter die Matratze und – um ganz sicher zu sein – trug er ihn tagsüber unter der Fußsohle in den Stiefeln.
    Man kann nie wissen, hatte er immer wieder gedacht. Fünftausend Rubel … darauf pfeife ich. Aber zurück in die Heimat … zurück zu Muttern. O Mutter … ob sie noch lebt? Zwanzig Jahre sind eine verflucht lange Zeit …
    Mit zitternden Fingern entfaltete Kleefeld den Steckbrief. Er strich ihn glatt, legte ihn auf die Fensterbank und starrte Semjonow nach, der gerade in die Kommandantur ging.
    »Er ist es«, sagte Kleefeld heiser. »Er ist es wirklich! Ich … ich … kann in die Heimat …«
    Er saß eine ganze Weile starr in der Sonne, den Steckbrief vor sich, und stierte ins Leere. Immer wieder strich seine Hand über das Papier und glättete es, und jede Bewegung war wie ein Glockenschlag in seinem Kopf: Zurück … zurück … zurück …
    Und plötzlich hatte er Angst.
    Angst vor den Kameraden.
    Sie werden mich umbringen, wenn ich es dem Major melde. Es wird nicht verborgen bleiben. Wie war es vor sieben Jahren? Da klaute einer Brot … und man fand ihn morgens in der Latrine. Ersäuft!
    Peter Kleefeld faltete den Steckbrief wieder zusammen, zog seinen rechten Stiefel aus und steckte das Papier hinein.
    Es war jetzt das Wertvollste, was er besaß.
    Sein Freifahrtschein in die Heimat.
    Sein Lebensbillet.
    Dem Amputierten ging es gut, er fieberte noch, aber die Lebensgefahr war vorüber. Semjonow hatte in einer Ecke des Flures mit dem Lagerarzt Dr.

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