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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Einsatz. Sowjetische Panzer überrollten uns. Drei Jahre nach der Gefangennahme wurde ich von einem sowjetischen Militärgericht verurteilt. In Swerdlowsk war es. Man warf mir vor, in einem russischen Gefangenenlager an der Oder an sowjetischen Kriegsgefangenen Experimente mit Gasbrandbazillen und Fleckfieberversuche gemacht zu haben. Todesurteil. Begnadigung zu lebenslänglich.« Dr. Langgässer hob die Hand mit der Zigarette. Sie zitterte stärker. »Das ist alles.«
    »Ist das wahr?« Das Gesicht der Kirstaskaja war versteinert. »Sie haben diese Versuche an meinen Landsleuten gemacht?«
    »Nicht einmal in Gedanken. Ich war nie in einem Gefangenenlager, ich hätte mich auch geweigert, so etwas zu tun! Ich kam praktisch von der Schulbank an die Front. Alles war und ist ein Irrtum. Aber da hatten sie Zeugen … dreihundertvierzig schriftliche Zeugen, die meinen Namen nannten.«
    »Na also! Warum lügen Sie auch noch jetzt?« Die Kirstaskaja zerdrückte ihre Zigarette auf der Fensterbank. »In meinen Augen haben Sie den Tod verdient.«
    Dr. Langgässer atmete tief. Er sah über den Kopf der Kirstaskaja hinweg in die Taiga, von der er wußte, daß es seine letzte Station war.
    »Vor drei Jahren hat man den Arzt in Chemnitz verhaftet, den Arzt, der diese Versuche geleitet hat. Er wurde zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Er hieß Dr. Langesser. Mit einem g und einem e statt einem ä.«
    Das Gesicht der Kirstaskaja wurde fahl. »Wer hat Ihnen das gesagt?« fragte sie heiser.
    »Väterchen Kraswenkow.«
    »Dann … dann sind Sie also unschuldig?«
    »Es scheint so.« Dr. Langgässer winkte ab, als Katharina noch etwas sagen wollte. »Aber wem nützt es? Ich bin verurteilt, und ich bleibe es! Man kann nach zwanzig Jahren keinen Irrtum einsehen. Und wer fragt in der Welt auch danach, ob es noch einen Dr. Rolf Langgässer gibt, irgendwo in Rußland. Wir sind tot, wir alle hier … seit zwanzig Jahren tot! Es wäre vielleicht nicht einmal gut, wenn wir wieder zurückkämen, so unverhofft aus dem Grab. Welche Tragödien könnten dann entstehen … Das Leben ist ja zwanzig Jahre lang weitergegangen, die Welt hat sich gewandelt, verändert, und Gras ist über alle Trümmer gewachsen. Nur wir sind dieselben geblieben wie vor zwanzig Jahren, an uns ist die Zeit vorübergegangen … Wir sind einfach stehengeblieben, wie Uhren, die man nicht mehr aufgezogen hat.« Dr. Langgässer tat die beiden letzten Züge an seiner mongolischen Zigarette und drückte den winzigen Rest aus.
    Man soll über seinem Glück nicht diejenigen vergessen, die vom Leben unsanft behandelt werden. Es gibt solche bedauernswerten Typen, Genossen. Unser Mitleid verdienen sie, denn was sie auch tun, und sei es in der besten Absicht … es kehrt sich immer alles ins Gegenteil, und man ohrfeigt sie, wo man sie hätte streicheln müssen.
    Ein unglücklicher Mensch war auch Karpuschin.
    Nicht daß ihn sein Vögelchen Marfa verlassen oder er in ihren Armen gespürt hätte, daß man mit grauen Haaren nicht mehr den Atem eines Zwanzigjährigen hat, auch wenn der Wille dazu vorhanden ist – das alles wäre zu verschmerzen gewesen, denn es ging nicht an die Substanz Karpuschins. Es war vielmehr so, daß Marfa ein liebes Weibchen geworden war, das sein Schicksal mit Geduld trug und sich vorgenommen hatte, bei der ersten guten Gelegenheit Karpuschin zu betrügen. Nein, es war schlimmer – Moskau, das ferne Moskau, gab keine Ruhe.
    Irgendwie mußte es bis zu General Chimkassy, diesem neidigen Scheusal, durchgedrungen sein, daß Karpuschin in Jakutsk die Stadt auf den Kopf gestellt hatte. Man fragte höflich, aber bestimmt an, was denn los sei. Und es war der letzte Satz, Brüder, dieser infame Satz, der Karpuschin aus der Fassung brachte:
    »… bitten wir um sofortige Zusendung des Protokolls und der Aussage von Semjonow, da wir annehmen, daß die Großaktion Erfolg hatte. Für eine sofortige Überstellung Semjonows nach Moskau ist zu sorgen …«
    »Diese Hunde!« schrie Karpuschin und raufte sich den gefärbten Bart. Er rannte im Zimmer hin und her, schwenkte den Brief aus Moskau und brüllte Marfa an, die nackt im Bett lag, das Bein angezogen hatte und sich die Fußnägel rot lackierte. »Lieg nicht herum wie eine tatarische Hure!« fauchte er. »Das schreibt Chimkassy. Und hinter Chimkassy steht Malinowskij! Und hinter Malinowskij kommt der Genickschuß! Verstehst du das nicht, du hirnloses Geschöpf? Sie wollen Semjonow sehen! Soll ich schreiben: Genossen, ich

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