Liebesnächte in der Taiga
Kombinats an die Parteileitung in Krasnojarsk. »Er muß sie überzeugen können. Er muß Vorbild sein, nicht nur bei den Weibern im Bett! Er muß die Thesen der Weltanschauung nicht nur kennen, sondern auch an den Mann bringen können. Kurzum: Wir brauchen gerade in Kalinin II den besten Politruk, den Ihr, Genossen, bereithaltet.«
An einem feuchten Septembertag traf der neue politische Kommissar im Lager von Kusmowka ein.
Eintausendvierhundertsiebzig Männer und zweihundertdreiundvierzig Frauen und Mädchen standen vor den Holzbaracken und blickten auf den dunklen Moskwitschwagen, der durch die Hauptlagergasse zum Verwaltungsrat rollte. Und wo er vorbeigefahren war, hinterließ er lange Gesichter bei den Männern und böse Augen bei den Mädchen.
Im Fond des schwarzen Wagens saß eine Frau. Eine Frau in der grünen Uniform der politischen Abteilung, mit den breiten Schulterstücken eines Kapitäns.
Sie hatte einen schmalen Kopf, pechschwarze Haare, ebensolche Augen und einen kleinen, schmallippigen, energischen Mund. Sie sah unbeweglich geradeaus, als sie durch die stummen, wartenden Menschen fuhr, und sie sah sich auch nicht um, als sie vor dem Verwaltungsgebäude aus dem Wagen sprang, mittelgroß, zierlich, aber in der Uniform noch von einer fast aggressiven Fraulichkeit. Leichtfüßig lief sie die sechs Stufen zum Eingang hinauf, grüßte lässig den Natschalnik, der ihr entgegenkam, drehte sich dann erst um und umfaßte mit einem langen, stummen Blick das Lager, die sie anstarrenden Menschen, die Baracken und Schuppen, die Kraftwagenhallen und Maschinenhäuser und das große Transparent, das über die Hauptlagergasse gespannt war: Für Frieden und Freiheit immer bereit.
»Freundschaft, Genosse!« sagte sie und sah den Natschalnik groß an. Ihre Stimme war hell und schneidend.
»Freundschaft, Genossin!« Dem Natschalnik saß ein dicker Kloß im Hals. Er würgte an ihm und wünschte sich ein großes Glas Wodka, um damit zu gurgeln.
O Mutter Gottes, dachte er. Was schickt man uns da aus Krasnojarsk? Sind die Brüderchen denn komplett verrückt?! Eine Frau kommt in diese Hölle! Ein süßes schwarzes Vögelchen. Und dort unten stehen Wölfe und Bären, Luchse und Marder, bereit, sie zu zerreißen! Man muß nur ihre Augen einmal sehen! Diese Mordgier, diese Freude, auch diese Frau zu zerstückeln wie den armen Jurij Dambrowski, der wirklich alles getan hatte, was in seinen Kräften lag! Aber schließlich und endlich scheitert jede Weltanschauung am Fressen, und was helfen Marx und Lenin, wenn zweitausend Arbeiter nur immer Blini erhalten, diese dünnen, aus Mehl und Wasser gebackenen Pfannkuchen, auf denen geräucherter Fisch liegt? Was kann da so ein schönes Täubchen machen? Weinen wird es, bitterlich weinen.
»Ich bin Ludmilla Barakowa«, sagte die junge Frau mit dem schwarzen Haar. Sie knöpfte ihre Feldbluse auf, denn im Zimmer des Kombinatsdirektors war es warm. Er heizte bereits. Der Regen brachte feuchte Kühle.
Unter der Feldbluse trug sie eine schwarze Seidenbluse, die stramm über den runden Brüsten lag. Der Direktor ertappte sich, als er das sah, bei kühnen Gedanken – da mußte das Herz ja schneller schlagen. Himmel, war das eine Frau! Mag sein, daß sie eine gute politische Kommissarin ist … aber hier in Kalinin II, dem Holzkombinat, das anerkannterweise die störrischsten Menschen von ganz Sibirien beschäftigt, wird man sie behandeln wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, aber nicht wie einen Kommissar, der Ordnung und Zucht, kommunistischen Geist und Ruhe im Lager schaffen soll.
Ludmilla Barakowa setzte sich hinter den Schreibtisch, der vor acht Tagen noch Jurij Dambrowski als Unterlage für sinnlose Fausthiebe gedient hatte, wischte über die Platte und hob den Finger. »Dreck!« sagte sie mit ihrer hellen, kalten Stimme.
Der Natschalnik wurde rot. »Das Zimmer ist seit acht Tagen nicht bewohnt worden, Genossin.«
»Ist das ein Grund, alles verkommen zu lassen? Sind nicht genug Frauen im Lager, die putzen können?« Sie sah sich um, entdeckte braungelbe Gardinen an den Fenstern und rümpfte die Nase. »Die Gardinen …«
»Genosse Dambrowski rauchte gern Pfeife, und der Qualm … er rauchte vorwiegend eigenen Tabak.« Der Kombinatsdirektor rang mit seinem Kloß im Hals.
Ludmilla Barakowa drehte sich vom Fenster weg. »Ich liebe weiße Gardinen, Genosse«, sagte sie mit Betonung. »Und ich rauche Zigaretten. Türkische oder chinesische. Lassen Sie mir bitte etwas zu trinken
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