Liebesnächte in der Taiga
GRU zuckten General Chimkassy und Oberst Karpuschin zusammen, als plötzlich auf den Ruf ›Hier ist Otto‹ eine Antwort kam. Eine Zahl.
827.
Karpuschin sah Chimkassy hilflos an. An der tschechischen Grenze dagegen, in seinem Bauernhaus, atmete Major Bradcock auf. 827 hieß ganz schlicht ›Yes!‹ Die Verbindung war hergestellt. Der Herzschlag des CIA klopfte hinüber bis unter das Dachfenster des Hauses in der Woronzowo Polje.
»Was ist das?« fragte Karpuschin, als es wieder still war im Äther.
»Eine Sauerei, Genosse.« Chimkassy hieb mit der Faust auf den Tisch. »Wenn die weiter so knapp antworten, reicht die Zeit nie aus, den Sender anzupeilen.« Er wollte weiter sprechen, aber ein Gewimmel von Zahlen, die nun alle Funkpeilstellen aufnahmen, verschloß ihm den Mund. Auch Karpuschin atmete kaum, er drückte den Hörer gegen die Ohren und registrierte nichts als Zahlen, Zahlen, Zahlen.
»Das wird Aufgabe unserer Dechiffrierabteilung sein, da einen Sinn herauszuholen«, sagte Chimkassy. »Verdammt noch mal, mich interessiert auch nicht, was sie funken. Ich will wissen, wo der Empfänger sitzt. Und er sitzt in Moskau, Genosse, er sitzt vor unserer Nase und legt dicke Eier!«
Fast fünf Minuten lang klingelte es im Äther von sinnlosen Zahlen. Es waren fünf Minuten, die Karpuschin und Chimkassy an die Galle gingen. Dann schwieg der Sender, und alles hielt den Atem an.
Die Antwort! Gütige Mutter von Kasan … laß ihn eine lange Antwort geben.
Und die Antwort folgte. Keine Zahlen, keine Verschlüsselung, keine Codewörter. Im Klartext funkte Semjonow, und es machte ihm einen höllischen Spaß, so offen zu sein vor zweitausend bebenden Ohren:
»Okay, boys!«
Schweigen. Aber bei Karpuschin hatte eine Granate eingeschlagen.
»Er verhöhnt uns!« schrie er wild und warf seinen Kopfhörer gegen die Wand. »Genosse General, ich erleide einen Schlaganfall! Ich überlebe das nicht! Okay, boys … vor unseren Ohren!«
»Er ist ein eiskalter Hund.« Chimkassy legte ebenfalls seinen Hörer weg. Er wußte, daß jetzt nichts mehr durch den Äther kam. Die große Chance war vorbei. Man würde nie den Sender in Moskau finden. »Es bleibt uns nur noch die Information aus Deutschland. Unsere Sekretärin beim CIA. Oder ein Verrat in Moskau … oder eine Dummheit dieses Heller selbst. Oder ein dummer Zufall! Vielleicht sieht Marfa Babkinskaja ihn noch einmal …« Chimkassy lachte bitter. »Auf jeden Fall haben wir jetzt eine Made im Speck, Genosse Karpuschin, und sie wird sich rund und voll fressen bis zum Platzen. Darauf warte ich. Die Satten werden zu bequem und faul. Glauben wir an unsere Erfahrung: Einen Fehler macht jeder einmal.«
Karpuschin nickte müde. »Sagen Sie das mal Marschall Malinowskij, Genosse General. Ich beneide Sie nicht um diese Berichterstattung!«
Chimkassy putzte sich die Nase. »Sie kennen ihn gut, nicht wahr«, sagte er leise. »Sie werden sich als mein großer Freund erweisen müssen, Matweij Nikiforowitsch …«
In diesen Tagen bekam das Holzkombinat Kalinin II in Kusmowka einen neuen politischen Kommissar.
Man muß wissen, wie das ist: Fleißige Arbeiter sind eine Selbstverständlichkeit. Die Erfüllung des Solls ist die Norm. Daß alle gute Kommunisten sind, setzt man voraus. Unzufriedene gibt es überall, der Mensch ist nun mal so, daß ihn nichts befriedigt, nicht einmal 800 Gramm Brot am Tag, etwas Margarine, Marmelade, Preßtee, ein Teller Fischsuppe oder Borschtsch oder an Sonntagen eine Terrine mit Rossolnike. Das ist etwas ganz Feines, Genossen, da läuft einem das Wasser im Mund zusammen: Man nimmt Schweinenieren, Gurken und Sahne und macht daraus eine Suppe.
Und trotzdem sind die Leute unzufrieden, murren, stehen in der Freizeit herum, führen wilde Reden, verprügeln den Magazinleiter, nennen ihn einen Halsabschneider und Betrüger. Und vor zwei Wochen – es gab zum siebentenmal Kascha aus Maisgrieß und Bohnen, was doch den Bauch füllt und nahrhaft ist! – zogen sie mit Transparenten aus dem Lager zur Kombinatsverwaltung, überrannten die Milizposten und schrien im Sprechchor: »Wo bleibt die Gleichheit? Die einen fressen und die anderen hungern! Nieder mit Jurij Dambrowski! Nieder!«
Um das Soll weiter zu erfüllen und Moskau nichts von der Stimmung im Lager merken zu lassen, schickte man den Kommissar Dambrowski nach Hause und forderte einen neuen Schulungsleiter an.
»Er muß die Männer in der Hand haben!« schrieb der Natschalnik – der Direktor – des
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