Liebesnächte in der Taiga
Wochenzahlen der Produktion, die Sollziffern, die Einzelleistungen von Aktivisten, die Anforderungen der kommenden Woche, der Ernährungsplan; die Meldung von 300 Neuzugängen, die mit einem Transportzug aus Weißrußland kamen, wo die Landwirtschaft überflüssige Kräfte abgeben konnte; die Nachricht, daß in den nächsten Tagen ein Holzingenieur eintreffen werde.
»Ein Holzingenieur?« Ludmilla Barakowa hob den Kopf. »Was soll er hier?«
»Er wird den Produktionsablauf im Sägewerk überwachen.«
»Woher kommt er?«
»Aus Moskau.«
»Name?«
»Pawel Konstantinowitsch Semjonow, Genossin. Absolvent der Universität. War bisher in großen Möbelfabriken beschäftigt. Hat glänzende Papiere. Man lobt ihn sehr.«
Ludmilla Barakowa nickte. »Ich lese sie mir nachher durch. War das alles?«
»Für heute ja, Genossin.« Der Sekretär atmete auf. Sie kann einen mit ihrem Blick in Flammen aufgehen lassen, dachte er. Und trotzdem friert man, als liege man nackt auf dem Eis des Jenissej.
»Dann gute Nacht, Genosse.« Die Barakowa erhob sich. Neben dem Büro war ihr Schlafzimmer. In den vergangenen Stunden hatten vier Frauen alles geputzt und gewienert. Auch neue Gardinen hingen an den Fenstern. »Ich habe eine lange Reise hinter mir … die ganze Nacht bin ich durchgefahren … Ich bin müde.«
Das erste persönliche Wort. Der Sekretär war beglückt und rannte aus dem Zimmer, um es allen zu erzählen: Sie kann auch müde sein, Genossen!
Hinter ihm knirschte der Schlüssel im Schloß. Ludmilla Barakowa war allein.
Sie zog die grüne Feldbluse aus, öffnete die schwarze Seidenbluse und ging nebenan in ihr Schlafzimmer. Dort warf sie sich auf das im Land des Holzes völlig stilfremde Stahlrohrbett, zog sich die weichen Juchtenstiefel aus, spielte mit den Zehen in den Strümpfen und legte die Beine hoch über das Fußende des Bettes.
Kusmowka, dachte sie. Nun bin ich in Kusmowka. »Es ist die größte Ehre, die wir Ihnen antun können«, hatte der Genosse Distriktkommissar gesagt. »Wenn Sie dort Ordnung scharfen und sich Respekt erwerben, wird Moskau Ihnen große Aufgaben übertragen.«
Der gute Maxim Sergejewitsch Jefimow. Er liebte sie, aber er zeigte es nicht offen – nur so hintenherum, wie jetzt, als er ihr die ›große Ehre‹ erwies, sie nach Kusmowka zu schicken.
Ludmilla Barakowa beugte sich vor und nahm die Akte an sich, die der Sekretär zurückgelassen hatte.
Die Papiere des Holzingenieurs Semjonow.
Als sie die Mappe aufschlug, sah sie zuerst sein Bild.
Ein frisches, männliches Gesicht mit kurzen, stoppeligen blonden Haaren und fröhlich blickenden blauen Augen. Die Augen eines Jungen, der immer zu Streichen aufgelegt ist. Freche, sympathische Augen, die selbst auf dem Foto sprachen: Na, bin ich nicht ein Mordskerl?
Ludmilla Barakowa legte die Akte neben sich auf das Bett. Die Augen fielen ihr zu, wohlige Müdigkeit durchzog ihren Körper.
Sie werden mir helfen müssen, Pawel Konstantinowitsch Semjonow, dachte sie. Ich habe Angst unter so viel Männern. Ich habe schreckliche Angst. Aber niemand weiß es, niemand wird es jemals merken. Auch Sie nicht, Pawel Konstantinowitsch. Wann kommen Sie? In vier Tagen? Ich werde sehr erleichtert sein, wenn Sie endlich da sind.
So schlief sie ein, ein kleines, müdes, einsames, zartes, angstvolles Mädchen.
Im Lager aber, in den Baracken, beim dampfenden Tee, saßen die Männer und ballten die Fäuste.
»Ein Teufel ist sie. Paßt nur auf, in der Hölle wird es gemütlich sein wie in einer Wodkastube, verglichen mit Kusmowka!« sagten sie.
Und die Weiber im Frauenlager hockten zusammen und tuschelten böse: »Man sagt, sie habe schon als Kind auf Menschen geschossen. Als Partisanin in den Sümpfen von Pripjet. Sie verachtet den Menschen. Man sollte sich bekreuzigen, wenn sie an einem vorbeigegangen ist …«
So sprach man überall von Ludmilla Barakowa.
Von Norden, über den Jenissej her, wehte ein kalter Wind. Er jaulte um die Baracken und klapperte mit den Fensterläden. Zwischen Herbst und Winter gibt es hier keine große Spanne … erst kommt der Wind, dann der Regen, dann der Schnee, dann das Eis. So schnell geht es.
Auf ihrem Bett zog Ludmilla Barakowa die Beine an. Sie fröstelte, weil sie nicht zugedeckt war, aber sie merkte es nicht; so müde war sie.
Um ihre Lippen lag jetzt ein Lächeln.
Wie tief in jeder Frau noch ein Kind schläft, o Freunde! Man sollte eine Frau im Schlaf studieren, um auch ihre Seele lieben zu lernen …
Und dann
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