Liebesnächte in der Taiga
Deutscher. Zuletzt wohnhaft in Bad Godesberg.«
»Ich war Deutscher.«
Der Botschaftsangestellte blinzelte etwas. Die Bombe, dachte er. Sie schwelt bereits. Er erinnerte sich an die Worte des Ersten Botschaftssekretärs: »Dieser Heller ist zu behandeln wie ein rohes Ei. Wir haben kein Interesse, uns hier in den West-Ost-Konflikt einzuschalten. Versuchen Sie, ihn so zu lenken, daß er keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Um Himmels willen keine politischen! Je weniger er von uns verlangt, um so besser. Er brauchte uns in Sibirien nicht, also brauchen wir ihn in Teheran nicht.«
»Deutscher ist man«, sagte der Beamte. »Es sei denn, Sie geben die deutsche Staatsangehörigkeit auf. Das ist aber ein umständliches Verfahren. Fassen wir uns kurz, Herr Heller. Auf Grund Ihrer Verschollenheit in Rußland und nach Meldungen der amerikanischen Botschaft in Plittersdorf wurde amtlich Ihr Tod festgestellt. Nun leben Sie, und wir werden für Ihren neuen Paß und für die Weiterführung im Personenstandsregister sorgen. Wenn Sie die Fragebogen ausfüllen …«
Semjonow winkte ab. »Lassen Sie mich tot. Ich heiße Pawel Konstantinowitsch Semjonow. Hier ist mein Paß.«
Er reichte ihn über den Tisch, und der Beamte blätterte verstört darin herum. »Gefälscht«, sagte er endlich und gab ihn Semjonow zurück.
»Echt!«
»Das ist doch unmöglich!«
»Ich habe es verlernt, unmöglich zu sagen.« Semjonow setzte sich und knöpfte sich den Kragen auf. Heiß war es im Zimmer; der Ventilator bewegte nur die stickige Luft und brachte keinerlei Kühlung. »In der Taiga kennt man dieses Wort gar nicht.«
»Aber wir sind hier im Iran, und Sie sitzen in der Botschaft Ihres Vaterlandes.«
Semjonow lächelte schwach. »Sie sagten Vaterland? Was ist das?«
»Sind Sie Kommunist?«
»O Gott!« Semjonow lehnte sich zurück und blickte auf die summenden, kreisenden Flügel des Ventilators. »Das müssen Sie mich fragen! Ich bin ein Mensch, genügt das nicht?«
»Was wollen Sie eigentlich?« Der Konsulatsbeamte schloß die Akte Heller. Er tat es mit Widerwillen, man sah es. »Wir leiten sofort ein neues Paßverfahren ein. Bonn ist bereits verständigt.«
»Ich habe Sie nicht darum gebeten.«
»Das ist auch nicht nötig. Sie sind in politische Verwicklungen geraten …«
»Ach, so ist das!« sagte Semjonow und stand schnell auf. »Man schämt sich in Deutschland, daß ich ein Deutscher bin?«
»Bitte, mäßigen Sie sich, Herr Heller.« Der Beamte erhob sich gleichfalls. Semjonow sah ihm an den Augen an, daß er Angst hatte. Angst vor einer Aussprache, vor der Wahrheit, die sich hinter Paragraphen versteckte.
»Mäßigen?« schrie Semjonow. »Mein Herr, was würden Sie tun, wenn ich mich auf mein Deutschtum besänne und Sie um Schutz ersuchte?«
»Schutz vor wem?«
»Vor den Russen etwa!«
»Hier tut Ihnen keiner etwas!« erwiderte der Beamte laut.
»Wissen Sie das? Kennen Sie einen Karpuschin? Woher sollten Sie ihn kennen, nicht wahr? Im deutschen Klub wird Golf gespielt, Dortmunder Bier getrunken und der Aktienmarkt studiert! Wissen Sie, daß der sowjetische Geheimdienst mich sucht? Daß auf meinen Kopf eine Prämie gesetzt ist?«
»Ich würde so etwas Berufsrisiko nennen, Herr Heller.« Der Beamte stand hinter seinem Tisch und sah an Semjonow vorbei. »Deutschland hat Sie nicht in diese Gefahr gedrängt! Wir waren nicht Ihre Auftraggeber.«
»Natürlich nicht. Deutschland trifft auch keine Schuld, daß ich meine ostpreußische Heimat verloren habe!«
»Lieber Herr Heller!« Der Beamte lächelte mokant. »Ich glaube nicht, daß hier der richtige Ort ist, Parolen der Vertriebenenverbände zu wiederholen. Oder wollen Sie mit mir über Kriegsschuld diskutieren? Dazu habe ich wenig Zeit. Sie waren Agent des CIA, Sie standen damit außerhalb der Legalität. Bis auf die Möglichkeit, Ihnen einen neuen Paß zu geben, sieht die Botschaft keinen Anlaß, in Ihr selbstgewähltes Leben gestaltend einzugreifen.«
»Das haben Sie wunderschön gesagt.« Semjonow verbeugte sich kurz. Wenn so etwas der Dorfsowjet gesagt hätte oder irgendein Kerl in der Taiga, an die Wand hätte ich ihn geworfen, daß ihm die Knöchelchen krachten. Aber vorbei ist das alles … wir leben jetzt in einer freien Welt. Da trägt man die Faust in der Tasche – weil man frei ist. »Leben Sie wohl!«
»Wo wollen Sie hin, Herr Heller?« Der Beamte erwachte aus seiner Erstarrung. »Der Botschaftsrat erwartet Sie in einer halben Stunde.«
»Ich lasse ihn
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