Liebesparadies im Alpenschnee
nicht mitgebracht?“
„Diesmal nicht. Aber bei dem herrlichen Wetter habe ich Lust bekommen, mich mal wieder auf zwei Bretter zu stellen.“ Dank Raoul, der sie dazu ermutigt hatte, wieder das zu tun, was sie am besten konnte.
„Deine Spezialanfertigung führen wir leider nicht, aber ich werde für die Meisterin von Colorado schon etwas Passendes finden. Gib mir ein paar Minuten.“
Binnen einer halben Stunde hatte sie alles bekommen, was sie brauchte. Jean-Luc zeigte ihr einen Umkleideraum, wo sie ihre Straßenkleidung lassen konnte.
Schließlich schulterte sie Skier und Stöcke und wollte gerade das Gebäude Richtung Seilbahn verlassen, als ein großer, breitschultriger Mann in schwarzem Anorak ihr den Weg versperrte. „Raoul?“, fragte sie erschrocken.
Er fasste sie bei den Oberarmen. Die Berührung schien Stromstöße durch ihren Körper zu jagen.
„Ich habe deinen Leihwagen entdeckt.“ Er betrachtete sie von oben bis unten. „Wenn du mir ein wenig Zeit lässt, begleite ich dich zur Piste. Seit Wochen bin ich nicht mehr zum Skifahren gekommen.“
Ihr wurde heiß. Nicht nur, weil seine physische Nähe ihr Blut in Wallung brachte, sondern auch vor Freude darüber, dass er alles stehen und liegen ließ, um sie zu begleiten. Seine spontane Art hatte sie schon immer gemocht. Gern ließ sie sich wieder davon mitreißen und schlug alle Bedenken in den Wind.
„Ich gehe schon mal raus. Hier drin wird es mir im Skianzug zu warm.“
Er gab sie frei, eilte davon und ließ sie mit weichen Knien zurück. Wenn seine Nähe solch eine Schwäche bei ihr auslöste, würde sie es nicht bis zur Seilbahn schaffen und schon gar nicht auf Skiern den Berg wieder hinunter.
Es dauerte nicht lange, und Raoul hatte sie eingeholt. Er sah fantastisch aus in seinem Skianzug mit den blauen Seitenstreifen. In schweigendem Einvernehmen stapften sie nebeneinander zur Seilbahn. Bald lag Chamonix ihnen zu Füßen. Der Ausblick war atemberaubend, und besonders schön war es, ihn neben Raoul zu genießen.
Als sie oben an der Piste angekommen waren, schaute sich Crystal um. Der wolkenlos blaue Himmel, der glitzernde Schnee, die majestätischen Berge ringsum, die verlockend vor ihr liegende Piste. Das war ihre Welt! Wie hatte sie das nur vergessen können? Sie wandte den Kopf und schaute in Raouls kobaltblaue Augen.
„Du hast so einen Gesichtsausdruck, Crystal …“
„Was denn für einen?“
„Den von früher. Als du noch Rennen gefahren bist. Lange hast du nicht mehr so ausgesehen. Ich freue mich, dass du wieder da bist. Lass uns um die Wette fahren.“ Er stieß seine Stöcke in den Schnee, und wie der Blitz sauste er davon in die Tiefe.
Crystal zog die Skibrille über die Augen, stieß sich dann ebenfalls ab und versuchte, ihn einzuholen. Ausgelassen wie Kinder wedelten sie den Steilhang hinab. Die rhythmisch schwungvollen Bewegungen euphorisierten sie. Sie glichen einem Tanz. Unwillkürlich stieß sie einen Jubelschrei aus, fuhr eine Weile Schuss, um das Tempo zu erhöhen, überholte Raoul und erreichte das Ende der Piste kurz vor ihm.
Noch immer durchströmte sie dieses Gefühl der Lebendigkeit und des Glücks. Auch er strahlte, als er mit einem gekonnten Stemmbogen neben ihr zum Stehen kam. „Du bist noch immer die Beste weit und breit. Kann es sein, dass du sogar noch sicherer geworden bist? Zumindest fährst du entspannter.“
„Danke, es tut gut, das zu hören.“
„Das hoffe ich.“ Er schaute sie nachdenklich an. „Wollen wir noch einmal hinauf? Danach muss ich zurück an die Arbeit.“
„Na, dann los!“
Sie glitten auf den Skiern hinüber zur Seilbahn.
Die Kabine füllte sich rasch. Als Raoul sie über die Köpfe der Mitfahrenden hinweg ansah, bekam sie weiche Knie.
Die zweite Abfahrt war noch aufregender, denn Raoul gab sich diesmal große Mühe zu gewinnen. Sie machte es ihm schwer, ließ ihn dann aber als Ersten durchs Ziel schießen.
Er empfing sie mit einem schiefen Lächeln. „Danke für das Erfolgserlebnis. Es schmeichelt einem mittelmäßigen Läufer wie mir. Nun schulde ich dir etwas.“
Sie lachte. „Nein, nein. Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß wie heute Morgen.“
„Ich auch nicht“, sagte er leise.
Ja, das spürte sie, und es machte sie auf eine geradezu leichtsinnige Weise froh.
Mit geschulterten Skiern gingen sie schweigend zurück zum Laden, noch immer berauscht von dem gemeinsamen Erlebnis.
Als Raouls Handy klingelte und er seinem Gesprächspartner angespannt zuhörte,
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